Gottes blutiger Himmel
Besser, ich mühe mich jetzt nicht zu sehr ab, über die Vergangenheit nachzudenken. Dies soll vorerst genügen.
Ich kam etwas zu spät im Al-Mansour-Melia-Hotel an. Der Baath-Funktionär hatte auch für unser zweites Treffen ein Hotel gewählt und auch diesmal, weil es so gut gesichert war. Er saß entspannt in der Lobby und strich sich über den mächtigen Schnurrbart und den dünnen Kinnbart. Seine Beschützer standen an der Rezeption, neben ihm saß Fadhil und hörte ihm zu. Der Parteimann sprach von seinen schmerzlichen Erinnerungen, als er von diesem Hotel aus während eines blutigen und tosenden Sonnenuntergangs zum letzten Mal Bagdad gesehen hatte, bevor die Stadt an die amerikanischen Truppen fiel. Er sprach davon, als sähe er die Szene wie durch Glas hindurchschimmern:
»Die Situation war noch nicht hoffnungslos. Wir hörten immer neue Nachrichten von der gerade beginnendenSchlacht. Der Präsidentenpalast war am Morgen von den Amerikanern bombardiert worden. Um das Hotel herum stieg Rauch in den Himmel, und überall breitete sich Pulvergeruch aus. Irreguläre Freiwilligenverbände sammelten sich an den Kreuzungen der Straßen, die zum Palast führten, am Tigrisufer und auf der Allee, an der das Außenministerium lag. Zivile Kämpfer trugen Kleidung in allen Farben, rote Kopftücher, Helme und Barette, andere waren ohne Kopfbedeckung, es gab Spezialeinheiten in Tarnanzügen und Soldaten in grünen Uniformen, manche trugen auch Jeans, und alle rannten in unterschiedliche Richtungen. Einige errichteten Befestigungen rund um den Palast. Währenddessen fegte ein Sandsturm über die Stadt und erschwerte die Sicht. Etwas später sah man die Leiche eines Milizionärs in einer Blutlache auf dem Boden liegen, aber niemand konnte sie bergen. Drei seiner Kameraden verschanzten sich hinter einer Barrikade an der Tigrisbrücke und bedeuteten den Autos umzukehren. Dann kam es zu einem heftigen Feuergefecht um den Präsidentenpalast. Dutzende Kämpfer mit Patronengürteln suchten Deckung hinter Mauern und Bäumen. Die Zufahrten zur zentralen Palastanlage, die mehrere Hektar umfasste, waren mit Steinbrocken, Stühlen und Autoreifen blockiert. Manche trugen Kalaschnikows, Panzerfäuste oder Munition auf dem Rücken, andere lagen hinter schweren Maschinengewehren. Den ganzen Abend hielten die Kämpfe an. Staubbedeckte Lastwagen transportierten Kämpfer irgendwohin. Am Morgen bezogen zwei amerikanische Panzer Stellung an der Brücke, während Flugzeuge aus geringer Höhe die Palastanlage und das Planungsministerium bombardierten. Es begann ein wilder Schusswechsel mit den amerikanischen Soldaten, der über drei Stunden andauerte. In meinen schlimmsten Träumen hatte ich mir nicht vorstellen können, Abrams- und Bradleypanzerüber die Brücke der Republik fahren zu sehen. Ich dachte, sie müsste unter ihnen zusammenbrechen. Ich werde nie vergessen, wie die Bradleys stehen blieben, ihre Kanonen auf das Hotel richteten und Granaten abschossen. Dann kehrten sie um und zielten auf das Verteidigungsministerium. Im Fernsehen sah man, wie amerikanische Kettenfahrzeuge über den Firdaus-Platz rollten. Der Irak war gefallen. Und als sie das Standbild von Saddam Hussein herunterrissen, war die Niederlage komplett. Aber dass unsere Kämpfer sich zurückzogen, war geplant. Sie sammelten sich danach wieder, um den Widerstand aus dem Land heraus weiterzuführen.«
In der Hotellobby mit ihren Resten an teurem, aber erneuerungsbedürftigem Mobiliar lief laute Musik, deren Rhythmus in meinem Kopf mit Kriegsszenen verschmolz. Ich sah Bilder von Panzerketten und glühenden Granaten an mir vorbeiziehen. Aber auf diesen Mann, das war mir klar, konnte ich nicht zählen. Er hatte ein Land und einen Staat verloren, nachdem er und seinesgleichen mit Tyrannei und Gewalt, mit Eisen, Feuer und Galgen regiert hatten. Jetzt war seine Macht dahin, und nichts war von ihm zu erwarten. Selbst der Fall Bagdads war für ihn nicht mehr als eine Kriegsszene gewesen, an der er selbst keinen Anteil gehabt hatte, so als hätte er nur unbeteiligt zugesehen, um es später erzählen zu können. Nun erwartete er wohl von den Widerstandskämpfern aller Couleur, dass sie ihn mit ihrem Blut wieder in Amt und Würden brachten.
Ich fragte ihn erst gar nicht, was aus der Kontaktaufnahme zu al-Qaida geworden war. Ich dachte nach, worüber ich mit ihm überhaupt sprechen konnte, und versuchte es mit den Massakern. Ich fragte ihn, ob er glaube, dass al-Qaida die Morde in
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