Gottes erste Diener
überlebt, wie sie seit fast zweitausend Jahren überlebt hat. Man kann
sagen, daß sie heute stärker ist denn je, mehr verehrt und geachtet.
Die Kirche besteht aus
Millionen frommer Männer, Frauen und Kinder. Sie brauchen in der Tiefe ihres
Wesens die Hilfe und Gnade, die sie allein bringen kann. Selbst der strengste
Papst berührt die Herzen der Katholiken, wie kein Präsident, kein Mitglied
eines Königshauses es kann.
Das Papsttum ist eine massive,
harte Realität der Geschichte. Was seine Ursprünge auch sind — und sie sind
weit zweifelhafter, als die meisten Katholiken wissen —, es wird bleiben. Und
es hat mehr als jede andere religiöse Institution die Fähigkeit, der Menschheit
zu nützen. Ob es bis zum Ende der Zeiten überleben wird, kann niemand sagen,
doch eines ist gewiß: Wenn irgendeine der heutigen Institutionen überleben
wird, dann die Kirche von Rom.
Eine solche Überzeugung sollte
zu Frieden und Großmut mit anderen befähigen. Solche Fähigkeiten haben in der
Vergangenheit auffallend gefehlt und sind auch heute nicht eben hervorstechend.
Doch es gab jenes große Aufreißen der Wolken, als Johannes XXIII. den
Papstthron bestieg. Johannes’ Gott war keine Stammesgottheit; Er war größer als
die Kirche. Johannes’ Gott hatte einen Plan mit der ganzen Welt, ebenso wie mit
der Kirche. Die Kirche selbst hatte einen entscheidenden Beitrag zum
Fortschritt der Welt zu leisten. Johannes fragte immer: Wie kann die Kirche
Gott in Seinem Plan helfen, der über die Kirche hinausgeht? Instinktiv begriff
er den Unterschied zwischen der Kirche und dem Reich Gottes. Die Kirche bestand
aus relativ wenigen Menschen; das Reich, zu dem beizutragen die Kirche berufen
ist, gehört allen Sanftmütigen, allen, die reinen Herzens sind, allen
Demütigen.
Dies bedeutete für Johannes,
daß die Kirche nie vollkommen ist, daß sie immer reformiert und an die Zeit
angepaßt werden muß. Doch es war immer noch eine Kirche. Bischof Creighton
wollte ihr nicht soviel einräumen. In seinen Briefen schrieb er: »Die
römische Kirche ist überhaupt keine Kirche, sondern ein Staat in ihrer
Organisation; und die schlimmste Form eines Staates: eine Autokratie.« Gewiß,
viele Päpste haben den Eindruck hinterlassen, daß sie Diktatoren nach dem
Muster Gregors VII. waren; und die Sprache, die die Hierarchie bei Vaticanum I
benutzte, war voll von Rechtshoheit und Oberhoheit, ganz im Widerspruch zum
Neuen Testament, in dem es immer um Demut und Dienst geht.
Papst Johannes’ Herz war in
vollkommener Harmonie mit dem Evangelium. Darum war ihm klar, daß das Papsttum
nicht der einzige Lehrer der Welt ist—das wäre Gotteslästerung. Weil die Kirche
Gott in der Welt nicht voll zum Ausdruck bringt, muß das Papsttum der beste
Zuhörer und der beste Schüler sein. Ein Papst, das wußte er, hat nicht einen
Sack voller Wahrheiten, den er bei Bedarf jederzeit ausschütten kann. Er war
der erste und bislang einzige Papst, der begriff, daß die Welt eine Botschaft
für die Kirche hat und daß die Kirche auch Missionsgebiet für die Welt ist.
Weil Papst Johannes zuhörte, hörte man ihm zu. Als er ein Konzil einberief, bat
er die Bischöfe, auf die Welt zu hören, um ihre volle Größe als Nachfolger
Christi zu erreichen.
Im alten Israel waren die
Andersdenkenden nie Priester, sondern Propheten. Und obwohl sie ein lästiger
Haufen waren, hatten sie oft recht, wenn die Priester unrecht hatten. Jesus
stand in der Tradition der Propheten, nicht der Priester; deshalb wurde er als
Andersdenkender betrachtet. Er wurde für sein anderes Denken gekreuzigt. Papst
Johannes erkannte, daß Propheten für jede Institution unverzichtbar sind,
besonders aber für die Kirche. Er glaubte nicht, daß die Kirche ohne Propheten
besser daran wäre. Auch wir brauchen unseren Micha, unseren Arnos, unseren
Jeremia, unseren Jesus. Die freie Rede zu unterdrücken, heißt die Stimme de
Prophetie unterdrücken, die die Stimme Gottes ist.
Papst Johannes schien zu sagen,
Andersdenken ist erlaubt und fruchtbar, denn ich bin hier, und ich bin euer
Vater in Gott. Andere Päpste haben gesagt, Andersdenken ist nicht erlaubt, denn
ich bin hier als unfehlbarer Lehrer. Allerdings kann selbst ein unfehlbarer
Lehrer nichts Wertvolles sagen, wenn er nicht auf das prophetische Wort hört.
Ein jüdischer Rabbi des sechzehnten Jahrhunderts, Judah Loew, sagte: »Die
Eliminierung der Meinung von Religionsgegnern untergräbt die Religion und schwächt
sie.« Doch ein Papst braucht
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