Gottes erste Diener
war, beschloß er, den alternden Döllinger zu besuchen und ihm
zu sagen, daß seine eigenen gemäßigten Ansichten — die denen Döllingers so
nahestanden — für das Rom Leos XIII. akzeptabel waren. Gesundheitliche
Schwierigkeiten zwangen ihn, die Reise abzusagen. Noch nach Vaticanum I schrieb
Newman am 7. August 1870 an Mr. Daunt: »Ich sehe nicht, warum ein Mensch, der
sie [päpstliche Unfehlbarkeit] leugnet, nicht ein ebenso guter Katholik sein
kann wie einer, der sie vertritt____Man legt eine enorme Macht in die Hand
eines Mannes, ohne Kontrolle,
und im selben Moment, durch ebendiesen Akt, erklärt man, er dürfe ohne
außergewöhnlichen Anlaß davon Gebrauch machen.« Der Papst und das Konzil enthielt Aspekte der Papstgeschichte, die mir völlig unbekannt waren. Ich war
als Katholik aufgewachsen, hatte vor der Ordination die üblichen sechs Jahre im
Priesterseminar verbracht, hatte ein Studium an einer katholischen Universität
abgeschlossen, der Gregoriana in Rom, und nie waren mir solche Ideen
untergekommen. Dies erklärt sich zum Teil durch die parteiische Natur der
Seminarausbildung und die Tatsache, daß Geschichte als Lehrfach in derlei
Institutionen ein Aschenbrödeldasein fristet. Die Missetaten der Päpste werden
nur gestreift oder gar übergangen, nicht viel anders als Trotzki von Stalin aus
der ganzen Sowjetgeschichte herausgeschnitten wurde. Viele junge Historiker in
der heutigen Sowjetunion haben nie von Trotzki gehört, seit sein Bild aus einem
Foto von 1917, auf dem er am Finnlandbahnhof in Petersburg neben Lenin steht,
wegretuschiert wurde. Mein Unwissen ist auch der Vorliebe der Katholiken für
eine Papstgeschichte zuzuschreiben, die man mit weißen Handschuhen lesen kann.
Es ist nicht leicht zuzugeben, daß man Führer hatte, die oft Barbaren waren,
und daß die guten Päpste manchmal weit mehr Schaden angerichtet haben als die
bösen. So sah ich mich recht spät in meiner Laufbahn genötigt, die Geschichte
katholischer Ideen und Institutionen zu untersuchen, wobei die letzteren
selbstverständlich das Papsttum einschlossen. Es war eine lange und manchmal
schmerzhafte Form des Selbststudiums. Makellose Hagiographie kann ihn
inspirieren, aber »Geschichte untergräbt den Respekt«, wie Acton warnte. Als er
begann, den Home and Foreign Review herauszugeben, wußte er, daß er die
Hierarchie mit seiner Direktheit ärgern würde. Er schrieb an Newman und betonte
die Notwendigkeit, völlig ehrlich zu sein, wenn man über die Päpste schreibe.
»Paul III.«, schrieb er, »hatte einen Sohn, nicht einen Neffen, wie er
üblicherweise genannt wird. Ich bin fest überzeugt, daß dies angeprangert
werden sollte, und ich komme nicht umhin, die vorsätzliche Lüge aufzudecken,
die darin steckt.« Am Ende war es sein Lehrer Döllinger, der exkommuniziert
wurde. Acton entschied sich, die letzte Zensur durch eine Mischung von
Schweigen und Doppeldeutigkeit zu umgehen. Es ist traurig zu sehen, daß es
Generationen von Katholiken gab, in denen die Kirche mehr große Menschen
zensierte oder zum Schweigen brachte, als die meisten anderen Institutionen
besaßen.
Als ich Leckys zweibändigen
Klassiker History of European Morals las, stieß ich auf eine Fußnote, in
der er auf Henry Charles Lea aus Philadelphia hinweist. Ich hatte noch nie von
Lea gehört, und doch war seine Geschichte des Zölibats das wichtigste Werk
seiner Art aus der Neuen Welt, wenn man Lecky Glauben schenkte. Als nächstes
fand ich, daß Bischof Mandell Creighton über ihn sagte: »Wenn Sie Leas Bücher
nicht kennen, dann lesen Sie sie, denn niemand weiß mehr über die Institutionen
der mittelalterlichen Kirche.« Dies Lob wurde verstärkt, als ich Actons
Rezension von Leas Meisterwerk über die Inquisition sah. Acton, ein notorischer
Zögerer, wenn es galt, die Werke anderer zu empfehlen, schrieb: »Lea hat den
wichtigsten Beitrag der Neuen Welt zur Religionsgeschichte der Alten Welt
geleistet Nichts in der europäischen Literatur kann sich damit messen, dem
Zentrum und Substrat von Herrn Leas großem Geschichtswerk.«
Alle sind sich darin einig, daß
Lea unter den Historikern englischer Sprache gleichrangig mit Gibbon und
Hallam, Macaulay und Acton ist. Unter Katholiken, das wage ich zu sagen, ist er
praktisch unbekannt und noch weniger beachtet. Das ist ein Jammer, denn es hat
nie einen weniger propagandistischen Autor gegeben als ihn. In all seinen
umfangreichen Werken ließe sich schwerlich eine einzige sektiererische
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