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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Rosa
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war im
Nebel. Rostig riechendes Blut war auf seinem Brustharnisch; sein Schwert und
sein Dolch waren blutrot bis ans Heft. Als er die Tür des riesigen, hohen
Audienzsaals öffnete, umschloß ihn und seine Männer ein gewaltiges Schweigen.
    Der sechsundachtzigjährige
Papst saß in voller Majestät auf seinem Thron, allein bis auf einen
Berater-Kardinal, der sich in eine Ecke drückte. Bewegungslos saß er in vollem
päpstlichem Ornat: die Tiara, das Symbol dafür, daß er der Herr der Welt war;
an seinen Fingern trug er außer einem großen, blitzenden, ovalen Saphir den
Ring des Fischers. Die letzte Quelle seiner Macht war in seiner Hand: ein
goldenes Kreuz.
    Sciarra war so von Ehrfurcht
ergriffen, daß er sich zunächst kaum rühren konnte. Als er langsam mit
gezogenem Schwert auf Bonifaz zuging, küßte der Papst hoheitsvoll das Kreuz.
Diese Geste, das laute Schmatzen der Lippen, hätte einem frommen Katholiken
Einhalt gebieten können, nicht aber Sciarra Colonna. Er schlug den
Stellvertreter Christi mitten in sein geädertes, fleckiges Gesicht, daß der
Audienzsaal davon widerhallte und selbst Sciarras Männer unter Bekreuzigen
zurückwichen. Dies war ein Sakrileg. Was, wenn Gott sie aus Rache niederschlug?
Unter Flüchen, die seinem Mut aufhelfen sollten, rief Sciarra, dieser Mann sei
nicht Papst, sondern ein Betrüger, Sohn Satans. »Danke ab«, verlangte er.
    Bonifaz küßte wieder das Kreuz.
»Eher sterben«, murmelte er.
    Zu stolz, um diesen
exkommunizierten jungen Hund um Gnade zu bitten, senkte er seinen Kopf. Dann,
in jenem bekannten, rauhen Ton: »Ec le col, ec le cape« — »Da, der Hals, da,
der Kopf.«
    Er war in Anagni geboren; er
hatte nichts dagegen, dort zu sterben. Dieser Papst, der behauptete, das zeitliche
Schwert sei ihm zu Diensten, bekam nun dieses Schwert zu spüren, das sich gegen
seinen zerfurchten Nacken preßte. Niemals in der Kirchengeschichte hat es einen
symbolträchtigeren Augenblick gegeben. Dies war der Beweis, daß das Bündnis von
Kirche und Staat den Zerreißpunkt erreicht hatte.
    Selbst Sciarra, den Bauch
voller Blutdurst, zögerte. Konnte er sich dazu bringen, das Haupt der
Christenheit zu fällen? Er hatte einen Eid der vendetta geschworen, und
so hatte er keine Wahl. In einer Ekstase sadistischer Freude hob er sein
Schwert hoch und zielte sorgfältig.
    In diesem Augenblick platzte
Nogaret herein und schrie, der König von Frankreich wolle den Papst in Lyon
haben, wo ein ökumenisches Konzil ihn absetzen sollte. Sciarras Gesicht zeigte
alle Schattierungen des Purpurs, als er sein Schwert in die Scheide steckte. Um
sich teilweise zu entschädigen, begann er, Bonifaz seiner Würde zu entkleiden.
Er schlug die Tiara herunter und entblößte einen kahlen Eierkopf; dann
vergnügte er sich damit, manchmal mit seinem Dolch ein kostbares päpstliches
Kleidungsstück nach dem anderen zu entfernen. Seine Leute, froh, nicht an der
Tötung eines Papstes mitzuwirken, plünderten die Gemächer. Sie staunten, daß
selbst ein Papst in einem langen, habgierigen Leben solche Schätze anhäufen
konnte.
    Bonifaz stand aufrecht wie eine
Statue, schien die Demütigung nicht zu spüren und wiederholte ärgerlich Jobs
Klage: »Dominus dedit, Dominus abstulit« — »Der Herr hat’s gegeben, der Herr
hat’s genommen.« Schließlich stand er praktisch nackt in jenem Riesensaal. Sein
Körper, gelb, faltig und vom Steinleiden gemartert, wimmelte vor Läusen. Wenn
man sich im Mittelalter die Qualen der Hölle ausmalte, so war nicht das Feuer
am meisten gefürchtet, sondern die ewigen Läuse. Der Chronist sagte kühl: »Der
Papst hatte eine schlechte Nacht.«
    Die Rettung kam unerwartet.
Viele von Sciarras Männern waren Söldner und hatten sich mit ihrer Beute
abgesetzt. Die Stadtbevölkerung fürchtete, Anagni könnte in Acht und Bann
fallen, die Messe könnte dort niemals mehr gelesen werden. Es könnte sogar
geschleift werden wie Palestrina. Drei Tage später bewaffneten sie sich,
zwangen den Feind zum Rückzug und befreiten den Papst aus seinem Kerker.
    Er war ein anderer Mann
geworden. Im Gegensatz zu seinen lebenslangen Gewohnheiten heulte er so, daß
die Tränen seine schwarz gefurchten Wangen hinunterliefen. Er war durch ein
Wunder am dritten Tage auferstanden wie sein Herr, Christus. »Danke«, wimmerte
er immer wieder, »danke.« Vielleicht war er plötzlich senil geworden; aus Stolz
oder Angst vor dem Vergiftetwerden hatte er in der Haft alles Essen und Trinken
verweigert. Hunger und

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