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Gottes geheime Schöpfung: Thriller (German Edition)

Gottes geheime Schöpfung: Thriller (German Edition)

Titel: Gottes geheime Schöpfung: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Kosmatka
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hätte sagen dürfen. Was die ganze Zeit im Raum gehangen hatte, was seine eigene Geschichte erzählte.
    »Konnten Sie die Proben retten?«
    Paul starrte ihn an. Durchbohrte ihn mit seinem gesunden Auge.
    Die Frage war mit einem gewissen Druck gestellt word en, und Paul wusste plötzlich, dass ihr ganzes Gespräch bis zu dieser Frage nur ein Vorgeplänkel gewesen war. Es war nur die Vorbereitung für diesen einen Moment gewesen.
    »Nein«, antwortete er. »Nein, man hat uns alles abgenommen.«
    Die Männer nickten, als wären sie hocherfreut über seine Antwort. Dann beeilten sie sich, ihm die Hand zu schütteln.
    »Ich freue mich darauf, Sie bald wieder bei der Arbeit zu sehen«, erklärte Mr. Lyons. »Und um es noch einmal zu wiederholen, es tut uns sehr leid, was passiert ist. Niemand sollte so etwas durchmachen müssen.« Die Männer gingen hinaus.
    Später am Abend kam der Doktor zu einer letzten Visite herein. Er untersuchte Paul kurz und unterschrieb dann die Entlassungspapiere. Eine Stunde später fuhren ihn zwei Krankenschwestern in einem Rollstuhl zum Hauptausgang des Gebäudes. Das wäre die »Standardprozedur«, erklärten sie hartnäckig, als er meinte, er könne laufen. Vor dem Eingang des Krankenhauses wartete ein Taxi mit laufendem Motor. Er gab dem Mann hinter dem Steuer die Adresse seiner Wohnung.
    Das Krankenhaus blieb hinter ihm zurück.
    Paul lehnte sein Gesicht gegen das kühle Glas der Scheibe.
    Eine Brücke. Wasser. Baltimore, ein Block mit Mietwohnungen. Der Wagen hielt vor dem Gebäude, in dem er wohnte. Er bezahlte den Fahrer und lief die Treppe hinauf, zwei Stockwerke.
    Beim Hochsteigen begann sein Auge zu pochen. Nein, nicht mein Auge, sagte er sich. Sondern der Ort, wo sein Auge gewesen war. So wie dieser Ort, wo sein Leben gewesen war.
    Das Provisorium fühlte sich schwer an, fremdartig, war kein Teil von ihm selbst. Ihm wurde schwindlig, und er blieb am oberen Ende der Treppe stehen, zwang sich, nicht ohnmächtig zu werden. Er überlegte, ob er ein Phantomgliedsyndrom hätte: Soldaten, die einen Arm oder ein Bein verloren hatten, schworen manchmal, dass sie es immer noch spürten, schworen, dass sie mit den Zehen wackeln könnten. Er fragte sich, ob das auch auf Augen zutraf. Würde er irgendwann schwören, er könnte etwas sehen, was eigentlich gar nicht da war? Was würde er überhaupt mit seinem Geisterauge sehen können?
    Paul öffnete seine Wohnungstür und ging hinein. Er hängte die Schlüssel auf den Haken neben der Tür. Dann ging er in die Küche, füllte einen großen Becher mit Wasser und tränkte seine Pflanzen, die ganz offensichtlich vertrocknet waren. Er hatte in jener ersten Nacht, in der er zurückgekehrt war, keine Zeit gehabt, sich um sie zu kümmern. In jener Nacht, in der er noch nicht zum Krankenhaus gefahren war.
    Als er nachhause gekommen war, direkt vom Flughafen.
    Seine Nachbarin hatte die Augenklappe gesehen und war entsetzt gewesen. »Was ist passiert?«, hatte sie gefragt.
    »Sie sollten mal meinen Widersacher sehen«, hatte Paul erwidert.
    Jetzt ging er zu seinem Medizinschrank, lehnte sich einen Moment an das Waschbecken und wartete, bis die Welt aufhörte zu schwanken. Dann öffnete er die Pillendose und da, ganz unten in der Dose, wo er ihn vor vier Tagen versteckt hatte, fand er ihn.
    Den Lozenge.

15
    Baltimore befindet sich halb im Wasser und halb auf festem Land.
    Die Stadt liegt am westlichen Ufer des Chesapeake, wo der Patapsco River mit ihm zusammenfließt, am mittleren Arm der Großen Bucht. Obwohl es mehr als fünfzig Meilen bis zum Ozean sind, führen die Highways dieser Gegend an zwei Stellen über Salzwasserkanäle. Es gibt Ebbe und Flut, Watt und Möwen. Aus den Untiefen ragen Schiffswracks heraus wie die Knochen von Titanen. Hier hat der Ozean sich die Mühe gemacht, landeinwärts zu wandern. Und zwar recht nachdrücklich.
    Baltimore ist eine Stadt der Brücken. Die gewaltige Francis Scott Key Bridge erstreckt sich vierspurig von Ufer zu Ufer, mehr als dreißig Meter über den Fluten. Im Osten v on Baltimore, in Sparrows Point, teilt sich das Land selbst in eine Reihe von Halbinseln, die sich meilenweit in die Bucht erstrecken. Auf einer Landkarte bildet die Küstenlinie eine zerklüftete Signatur – mit spitzen Fingern aus Felsen und Erde und Marschen sowie den Mündungen zahlloser winziger Wasserstraßen. Es ist ein Ort mit uralten, rostigen Mühlen, verstaubten Schlackehaufen und einer reichen Fauna. Es ist ein Ort am äußersten Rand

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