Gottes geheime Schöpfung: Thriller (German Edition)
von allem.
Und in der Ferne, an einem der entlegensten Landfinger, am Rand des Randes, liegt Westing.
Es ist ein altes Industriegelände. Eine Gegend, in der einmal Eisen und Stahl produziert und gute Renditen erzielt wurden. Ein Ort direkt am Wasser.
Die Tore sind mit verrostetem Maschendraht versehen. Stacheldraht erstreckt sich über einem eingefallenen Zaun, der neben der Straße fast im Gestrüpp verschwindet. Kleine Büsche wachsen aus überwucherten Gräben.
Das Wachhäuschen steht direkt hinter den offenen Toren. Für die nicht Eingeweihten: Dieses Grundstück sieht äußerlich genau nach dem aus, was es einmal gewesen ist. Aber jetzt ist es ein industrielles Relikt, ein sterbendes Gebilde, ein Ort aus der Vergangenheit. Kein Straßenschild verrät, wo man sich befindet. Und auf jedem Fleckchen Erde versuchen Pflanzen Fuß zu fassen. Für die örtliche Flora ist das hier die Postapokalypse. Das Leben kämpft sich den Weg zurück aus der Vergessenheit des Betons.
Aber hinter dem einsamem, humorlosen Wachposten, ein Stück weiter die Straße hinauf und hinter der Kurve, zeigt sich die tiefere Natur dieses Ortes, die plötzlich Teil eines anderen Zeitalters zu sein scheint.
Als Paul den Gebäudekomplex zum ersten Mal sah, wusste er es sofort.
Es war ein Ort aus Glas und schwarzer Magie.
Westing, das sich in hellem Tageslicht versteckte.
Paul parkte seinen Wagen auf dem für ihn reservierten Platz und stellte den Motor ab. Er holte tief Luft und lauschte der Stille in seinem Fahrzeug. Sein Kopf schmerzte. Alles tat ihm weh. Er blinzelte. Dann stieg er aus und ging die Betonstufen zum Eingang des Gebäudes hinauf. Vom Tor aus sah es nach gar nichts aus, wie ein verlassenes Industriegebäude. Hier jedoch, auf der anderen Seite der Kurve, war es hypermodern. Es bestand aus Glas, war geräumig, hatte sechs Stockwerke – ein Gebäude aus einer Zukunft, die vielleicht niemals kommen würde.
Er hielt dem Wachposten am Empfangstresen seinen Ausweis hin und drückte auf den Aufzugknopf. Der Wachmann schien beim Anblick von Pauls lederner Augenklappe zu stutzen, sagte jedoch nichts.
Es klingelte. Der Aufzug kam.
Paul stieg im zweiten Stock aus und ging den vertrauten Weg durch den Flur.
Eine Sekretärin, ihr Name war Julia, wie er glaubte, lächelte ihn an, als er vorbeiging. »Willkommen daheim«, sagte sie.
»Danke«, antwortete er. »Es ist gut, wieder hier zu sein.«
Er war schon fast an ihr vorbei, als sie ihm hinterherrief: »Wir haben Ihnen die Post auf Ihren Schreibtisch gelegt.«
Er erreichte sein Büro und zögerte kurz an der Schwelle, bevor er die Tür aufstieß und eintrat. Es kam ihm vor, als wäre er schon Monate nicht mehr hier gewesen, vielleicht sogar Jahre. Können es wirklich nur ein paar Wochen gewesen sein? Das kam ihm unmöglich vor. Seit seinem letzten Aufenthalt hier hatte sich so viel verändert. Er war jetzt ein anderer Mensch.
Das Licht in seinem Büro flammte automatisch auf, ausgelöst durch Bewegungsmelder, die Paul niemals hatte aufspüren können. Die einzige Möglichkeit, das Licht zu löschen, bestand darin, sehr lange vollkommen ruhig sitzen zu bleiben. An manchen Tagen glaubte Paul, diese Zeitspanne betrüge zehn Minuten; an anderen Tagen kam ihm die benötigte Zeit wie eine Stunde vor. Die anderen Wissenschaftler beschwerten sich häufig darüber. Das Licht und die Bewegungsmelder waren ein häufiges Gesprächsthema im Laboratorium. »Um diese verdammten Lichter anzulassen, muss man mit den Armen in der Luft herumfuchteln«, sagte einer und fügte hinzu: »Wie ein verdammter Gockel.«
Paul dagegen mochte die Dunkelheit. Manchmal war er vollkommen in seine Arbeit vertieft und tippte auf seinem Computer. Dann kam ein lautes Klicken, das Licht ging aus, und er saß im Dunkeln, vor dem leuchtenden Computerbildschirm. Er hatte sich staunend in dem Raum umgesehen. Dunkelheit war ein Geschenk.
Jetzt stellte er seinen Aktenkoffer ab und betrachtete den gewaltigen Stapel von Dokumenten auf seinem Schreibtisch. Er hob den Haufen hoch und blätterte seine Post durch. Hauptsächlich handelte es sich um Magazine. Prinzipien der Biologie, Theist-Informatik, Materialien und Methoden, Design Interpretation, Die Gebote – Eine Monatsschrift. Es waren Branchenmagazine, die er zwar nie bestellt hatte, die aber aus unerklärlichen Gründen plötzlich hier hereinflatterten, nachdem er ein eigenes Büro mit seinem Namen an der Tür bekommen hatte.
Er warf den ganzen Stapel in den
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