Gottes Gehirn
machen muss.“
„Ach so?“, sagte Hebold noch einmal, diesmal mit leicht gekränktem Unterton. Ein paar Sekunden stand er noch unentschlossen herum, dann verließ er den Raum.
Bäumler blickte über den Rand seiner Lesebrille in Richtung Troller. Halb belustigt, halb verärgert.
„Es handelt sich um etwas, das ich nicht gern an die große Glocke hängen mochte“, sagte Troller.
„Muss ja wirklich sehr geheim sein, wenn Sie sich dafür so unkollegial gegenüber Hebold verhalten.“
Eben hatte er Troller noch geduzt, jetzt siezte er ihn. Er duzte seine Redakteure nur, wenn sie zu zweit oder im Rudel auftraten.
„Sehr geheim“, sagte Troller. „Und vollkommen ungesichert, das gebe ich gleich zu. Keine Fakten, nur eine Hypothese. Aber wenn etwas dahinter steckt, dann ist das die Story.“
„Dann mal los.“ Bäumler legte sein Manuskript beiseite und fläzte sich wieder in seinen Sessel.
Troller wusste, dass er jetzt nicht zu weit ausholen durfte. Bäumler hasste umständliche Vorträge. Also brachte er seine Geschichte im Telegrammstil: Eklund und das fehlende Gehirn, Kranichs Anruf und Tod, die Blake-Konferenz, die mysteriöse Unfallserie im August 1998. „Und Kranich“, wiederholte er noch einmal, „hat bei seinem Anruf ausdrücklich betont, Eklunds Tod sei erst der Anfang.“
„Der Anfang von was?“ Ganz unbeeindruckt war Bäumler nicht geblieben.
„Der Anfang einer neuen Serie. Ich weiß, dass ich mich damit weit vorwage. Aber meine Hypothese ist: Die Morde werden weitergehen. Und zwar innerhalb eines sehr eingegrenzten Kreises. Die Opfer werden Teilnehmer der Blake-Konferenz sein.“
„Zehn kleine Negerlein?“
Troller konnte immer noch nicht abschätzen, ob er schon gewonnen hatte. Bäumler war einfach unberechenbar. „Ursprünglich waren es zweiunddreißig“, sagte er. „Jetzt sind es nur noch einundzwanzig. Irgend jemand bringt Wissenschaftler um, die damals auf der Konferenz waren.“
„Ziemlich starke Behauptung“, sagte Bäumler und richtete sich im Sessel auf. „Haben Sie dafür Beweise?“
„Nein. Aber genug Anhaltspunkte, um zu sagen: Man muss der Sache unbedingt nachgehen.“
„Warum haben Sie mir das nicht gleich so verkauft?“
„Ist nicht mein Ressort“, sagte Troller. „Ich bin Wissenschaftsredakteur, kein Kriminalreporter.“
„Und warum haben Sie Hebold nichts davon erzählt?“
„Ich wollte das alles erst mal mit Ihnen abklären.“
„Okay.“ Bäumler legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Ganz still und konzentriert saß er eine Zeit lang in seinem Sessel und überlegte. Dann öffnete er die Augen wieder und sagte: „Wenn auch nur ein Bruchteil von dem stimmt, was Sie da vermuten, dann ist die Sache nicht ungefährlich. Das ist Ihnen doch klar?“
„Deshalb sollte das Ganze auch als Interviewserie getarnt sein.“
„Gut. Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind wir beide die Einzigen, die von dieser Sache wissen. Stimmt’s?“
„Stimmt.“ Es sei denn, Kranich hatte noch jemand anderem davon erzählt.
„Einverstanden“, sagte Bäumler und stand auf. „Wir machen das. Mit Ihrer Doppelstrategie. Sie fahren los und interviewen diese Wissenschaftler – von mir aus über die verlorene Einheit der Wissenschaft und diesen ganzen Eso-Quatsch – und nebenbei versuchen Sie, mehr über diese Dingsda-Konferenz herauszufinden. Ich kann mich doch darauf verlassen, dass sie vorsichtig sind?“
„Klar“, sagte Troller. Er stand ebenfalls auf und zeigte auf den Schreibtisch, wo das Telefon stand.
„Kann ich mal eben Hebold anrufen?“
„Das werden Sie schön bleiben lassen“, sagte Bäumler bestimmt. „Sie kriegen jemand anders.“
„Aber wir sind ein eingespieltes Team. Wir haben ’ne Menge Interviews zusammen gemacht.“
„Hebold ist Wissenschaftsredakteur, kein Kriminalreporter.“
„Das bin ich doch auch nicht.“
„Eben. Sie kriegen jemand, der Routine darin hat. Und der sich in Amerika auskennt.“
Troller ahnte mit einem Mal, worauf die Sache hinauslaufen würde. „Nein“, sagte er, „nicht Calamity Jane, bitte nicht.“
Bäumler grinste.
„Sehen Sie, Sie wissen schon, was für Sie gut ist. Wann, meinen Sie, können Sie fliegen?“
JANE ANDERSON
„War das eigentlich deine Idee?“ Jane saß neben Troller und hatte mit ihrem linken Arm die Lehne okkupiert, so dass er nicht wusste, wohin mit seinem rechten. „Welche?“ Er schaute mit einer Mischung aus Beunruhigung und Faszination auf die immer schneller vorbeiziehenden
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