Gottes Gehirn
Unfällen. Die Leichen waren entweder nicht aufgefunden oder bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden. Und es gab eine weitere Auffälligkeit: Alle waren im August 1998 gestorben. Troller listete die Fälle alphabetisch auf.
Alt , österreichischer Konfliktforscher, 19. August 1998, vom Bären getötet im Yellowstone Park.
Bakow , russischer Astronom, 10. August 1998, Autounfall in New Mexiko.
Kagan , britischer Militärhistoriker, 13. August 1998, ertrunken vor der Küste Floridas.
Kun , thailändischer Buddhismusexperte, 16. August 1998, Flugzeugabsturz über den Everglades in Florida.
Miller , Schweizer Kernphysiker, 7. August 1998, verschollen in Kanada.
Troller stand auf, ging durch den Raum und fuhr sich nervös mit den Händen durchs Gesicht. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, das war eine Serie. Hier noch an Zufall zu glauben war vollkommen unmöglich. Die Frage war nur: Gab es einen Zusammenhang zwischen den Unfällen im August 1998 und den Morden an Eklund und Kranich?
Ihm fiel der Satz ein, den Kranich am Telefon geflüstert hatte: „Wenn ich Recht habe, dann war das erst der Anfang.“
Der Anfang von was? Troller klappte die Kowalski-Akte zu. Er wusste, was jetzt zu tun war.
DER AUFTRAG
Hab ich euch richtig verstanden?“, fragte Bäumler mit dem Ausdruck naiver Ratlosigkeit, den er immer bekam, wenn ihn eine Sache nicht gleich überzeugte.
„Ihr wollt nach Amerika fahren, um ein paar x beliebige Wissenschaftler darüber zu befragen, was sie hinter einer Scheibe sehen, durch die man sowieso nicht durchgucken kann?“
Troller und Hebold saßen ihm nun schon seit zwanzig Minuten gegenüber und waren immer noch keinen Schritt weitergekommen. Allerdings hatte Troller ihm nur die halbe Wahrheit erzählt, und auch Hebold gegenüber war er nicht ganz offen gewesen.
Er hatte ihn in aller Herrgottsfrühe angerufen und ihn an ihr Gespräch vom Vortag erinnert. Hebold hatte sich zwar gewundert, dass Troller seine Reiseunlust so plötzlich überwunden hatte, aber die Vorstellung, in die Staaten zu fliegen und dort die berühmtesten Grenzgänger der Wissenschaft für eine Serie über die neuesten Paradigmen zu interviewen, hatte ihn sofort wieder begeistert.
Bäumler hingegen war, vorsichtig gesagt, reserviert. Er war einfach nicht zu überzeugen, dass das Thema brisant war und dass es sich auch verkaufen ließ.
„Grenzen der Wissenschaft“, sagte er, „wen interessiert denn das?“
„An den Grenzen entsteht das Neue“, sagte Troller geduldig.
„Es geht natürlich vor allem um neue Erkenntnisse, neue Paradigmen. Es geht um Quantensprünge der Erkenntnis.“
„Quantensprünge?“, Bäumler ließ seine Lesebrille kreisen. „Ich dachte immer, die wären besonders klein.“
„Sie wissen schon, wie ich es meine“, sagte Troller und versuchte, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Bäumler hatte leider Recht. Es war unsinnig, das Wort Quantensprung so zu gebrauchen, als handelte es sich dabei um einen großen Sprung nach vorn.
„Es ist doch so“, sagte Hebold.
„Keiner weiß genau, was da im Moment vor sich geht. Niemand hat mehr den Überblick. Den sollten wir unseren Lesern verschaffen.“
„Genau“, sagte Troller.
„Diese Leute da drüben sind immerhin dabei, unser Universum umzubauen.“
„Das reicht mir nicht“, sagte Bäumler und rutschte noch tiefer in seinen Sessel hinein.
„Ich werfe doch nicht einen Haufen Geld zum Fenster heraus, damit ihr euch in Amerika einen Lenz macht, in teuren Hotels rumlungert, Pay-TV-Pornos guckt und irgendwelchen Wissenschaftlern Fragen stellt, die niemanden interessieren. Nein, Leute, ich hätte es euch ja gern gegönnt, aber“ – er richtete sich mit einem Ruck in seinem Sessel auf und griff nach einem Manuskript, das auf dem Eileen-Gray-Tischchen neben ihm lag – „danke, das war’s.“
Jeder in der Redaktion wusste, dass „Danke, das war’s“ seine Schlussformel war und dass er verdammt ungemütlich werden konnte, wenn man sie nicht ernst nahm.
„Tja, dann.“ Hebold stand auf und warf Troller einen Blick zu.
Troller blieb sitzen.
Bäumler tat so, als seien sie beide nicht mehr da. Er legte die linke Hand an den Kopf und kraulte sich bedächtig die Stirn. Mit der rechten hielt er das Manuskript und las darin.
„Es gibt noch was anderes“, sagte Troller.
„Ach so“, sagte Hebold und wollte sich wieder setzen, „das wusste ich nicht.“
„Nein“, sagte Troller. „Das ist ’ne Sache, die ich allein
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