Gottes Gehirn
Es quälte sich. Sie haben eine Reihe von Spezialisten zu Rate gezogen, aber keiner konnte dem Schaf helfen. Schließlich haben sie es getötet.“
„Ja, und?“
„Was würden Sie machen, wenn Ihnen das mit einem Menschenbaby passiert?“
„Aber das sind doch Anfängerkrankheiten“, sagte Jackson ärgerlich. „Damit muss man immer rechnen. Wir werden das in den Griff bekommen, das verspreche ich Ihnen.“
„Die Frage, die die Öffentlichkeit beschäftigt, ist aber auch, warum es überhaupt gemacht werden sollte“, sagte Troller. „Und ob es ethisch vertretbar ist oder verboten werden sollte.“
„Und wohin es führt“, ergänzte Jane. „Haben Sie Kinder?“, fragte Jackson. Jane schüttelte den Kopf. Troller nickte. „Wie heißt er – oder sie?“
„Sarah.“
„Also gut, Mr. Troller. Stellen Sie sich vor, bei Ihrer Sarah wird eine chronisch-myeloische Leukämie festgestellt, eine langsam voranschreitende, aber letztlich tödliche Krebserkrankung der Stammzellen des Bluts. Die einzige Möglichkeit, diesen Krebs zu behandeln, besteht in einer Zwei-Stufen-Therapie. Erste Stufe: Sie setzen hochgiftige Chemikalien ein, um die vom Krebs befallenen Stammzellen zu töten. Dabei töten Sie aber auch die gesunden Stammzellen ab – und die werden benötigt, um den Blutzellenvorrat Tag für Tag neu aufzufrischen. Sie müssen also einen Weg finden, die gesunden Stammzellen, die übrigens im Knochenmark liegen, durch Spenderzellen zu ersetzen. Daher Stufe zwei: Knochenmarktransplantation. Technisch gesehen kein Problem – mit Ausnahme der Verträglichkeit. Die Chance guter Gewebekompatibilität beträgt bei nicht blutsverwandten Personen eins zu zwanzigtausend.“
„Und bei blutsverwandten?“
„Es hat den Fall Anissa Ayala gegeben, der übrigens sehr umstritten war. Mary und Abe Ayala aus Los Angeles bekamen am 2. April 1990 – und zwar auf dem Wege der Invitro-Fertilisation – ein zweites Kind, Marissa, durch deren Knochenmark Anissa geheilt werden konnte. Die Wahrscheinlichkeit hatte, was die Kompatibilität betrifft, lediglich 25 Prozent betragen. Aber sie hatten Glück.“
„Wenn man hingegen einen Klon von Anissa gehabt hätte“, sagte Jane, „dann . . .“
„. . . wäre die Wahrscheinlichkeit hundert Prozent gewesen. Korrekt. Also, Mr. Troller, wären Sie unter diesen Umständen bereit, einen Klon ihrer Tochter Sarah anfertigen zu lassen?“
„Ja“, sagte Troller. „Ich glaube, ja.“
„Ein Kind als Ersatzteillager?“, sagte Jane.
„Marissa Ayala war sehr stolz darauf, dass sie ihrer Schwester Anissa das Leben gerettet hatte“, sagte Jackson. „Ich habe das CNN-Interview 1996 gesehen.“
„Na, toll“, sagte Jane. „Haben Sie noch mehr solche Einzelfälle, die einem die Tränen in die Augen treiben?“
„Nun“, sagte Jackson, „ich bin der Ansicht, wir sollten dem Einzelschicksal gegenüber durchaus nicht hochmütig sein. Gerade der Wissenschaft wird doch immer wieder vorgeworfen, dass sie vereinfacht, dass sie abstrahiert, dass sie generalisiert. Aber jedes einzelne Individuum hat das Recht, sein Glück zu verfolgen, und solange es damit niemandem schadet, sollten Staat und Öffentlichkeit sich da heraushalten. Das ist meine Meinung.“
„Und was sagen Sie dazu, dass der Staat sich mit Forschungsgeldern einmischt und damit die Richtung der Forschung bestimmt?“
„Sie sprechen damit ein sehr wichtiges Problem an, Mr. Troller. Aber schauen Sie, gerade in unserer Wissenschaft, der Molekularbiologie, war die Einmischung des Staates notwendig, um eine Monopolisierung des Wissens durch private Firmen zu verhindern.“
„HGP“, sagte Troller.
„Das Human Genome Project, genau. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Sie wissen ja, dass ich eine Weile daran mitgearbeitet habe. Wir haben das HGP unter anderem auch deswegen gestartet, weil wir wussten: Die Forschung wird in jedem Fall betrieben. Und wir wollten nicht, dass das Wissen über das Kostbarste, was wir haben, unser eigenes Erbgut, im Privatbesitz einiger weniger Firmen verbleibt. Wir wollten die Möglichkeit haben, unser Wissen zu verallgemeinern. Deswegen war das HGP nicht nur ein äußerst erfolgreiches, sondern auch ein zutiefst demokratisches und humanistisches Projekt.“
„Wir waren eben noch beim Klonen, Mr. Jackson“, sagte Troller, „und auf einmal sind wir bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Aber um einen Menschen – oder ein Tier – zu klonen, brauchen Sie sein Erbgut doch gar nicht zu
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