Gottes Gehirn
Crick. Noch während er das dachte, beugte Jackson sich vor, ergriff behutsam das Modell der Doppel-Helix und stellte es direkt vor sich. „Die beiden“, sagte er, „denen wir dieses Modell verdanken, haben natürlich auch ihre Meriten. Aber dazu kommen wir noch.“
„Und wie ging’s weiter?“, fragte Jane.
„Der zweite Schritt“, sagte Jackson, „hieß Kryopräservation.“
„Kryo-?“
„-praservation. Von kryos, dem griechischen Wort für Eis. Erhaltung von Leben durch Einfrieren. Nur muss es schon ein wenig kälter sein als in Ihrer Tiefkühltruhe. Sie brauchen minus 196 Grad Celsius. Damit können Sie ein Embryo einfrieren, es wieder auftauen und dem Muttertier wieder einsetzen. Ich sage Muttertier, weil man 1971 mit Mäuseembryonen begonnen hat. Danach kamen Kaninchen, Schafe, Ziegen, Rinder. Und dann, am 28. März 1984, wurde im australischen Melbourne erstmals ein Menschenkind aus einem tiefgefrorenen Embryo geboren.“
„Wozu war das gut?“, fragte Jane. „Das Einfrieren.“
„Es ist von zentraler Bedeutung. Dadurch gewinnen Sie Zeit. Sie können einer Frau bei einer einzigen Operation dreißig Eizellen entnehmen, können sie befruchten und drei oder vier davon gleich wieder einsetzen. Kommt es nicht zu einer Schwangerschaft, warten Sie einen Monat und setzen die nächsten drei ein. Und so weiter. Oder Sie können die befruchteten Eizellen einer anderen Frau einsetzen, die ja nicht unbedingt denselben Empfängniszyklus hat. Sie können die Embryo-Kryopräservation aber auch zum Zweck der genetischen Diagnose einsetzen. Sie entnehmen einem der Embryonen ein paar Zellen und halten die anderen so lange gefroren, bis die Resultate vorliegen. Ergibt sich dann, dass die Embryonen die gewünschte Genkonstitution haben, dann werden sie aufgetaut und in die Gebärmutter eingesetzt.“
„Und wenn nicht?“
„Dann lassen Sie es.“
„Das heißt, Sie schmeißen Sie in den Müll?“, fragte Jane.
„Aber sie leben doch noch gar nicht“, sagte Jackson.
„Moment mal“, sagte Troller, „hatten Sie nicht gesagt, die Kryöpraservation sei Erhaltung von Leben durch Einfrieren?“
„Hatte ich“, sagte Jackson und rückte ein wenig an der DoppelHelix herum. „Aber Sie müssen unterscheiden. Es gibt Leben und Leben.“
„Aha“, sagte Jane ironisch.
„Bakterien leben, Pflanzen leben, Tiere leben, alles Organische lebt. Das ist der eine Begriff von Leben. Der andere, und den habe ich eben gemeint, ist: bewusstes Leben. Niemand könnte ernsthaft behaupten, dass ein Embryo – auch ein menschlicher Embryo – ein bewusstes Leben hat. Ich rede, wohlgemerkt, vom Embryo, nicht vom Fetus. Wir Biologen sprechen erst dann von einem Fetus, wenn die Frucht ein paar Gliedmaßen und Gesichtszüge erkennen lässt, also nach etwa sechs bis acht Wochen. Aber – das wird Sie vielleicht erstaunen – erst nach ungefähr sechs Monaten haben sich die Nervenzellen im Gehirn des menschlichen Fetus so weit ausgebildet, dass sie ernsthaft miteinander in Verbindung treten. Dann allerdings kommt es zu einer explosionsartigen Zunahme der Synapsenbildung, und das ist die Geburtsstunde der Großhirnrinde. Erst jetzt verwandelt sich das Gehirn aus einer Anhäufung von Einzelzellen zu einem vernetzten Apparat, der in der Lage ist, menschliche Gedanken und Gefühle zu haben.“
„Und bis dahin?“, sagte Jane.
Jackson breitete die Arme aus und kehrte die Handflächen nach oben. „Wie immer Sie es nennen wollen, bewusstes Leben ist es nicht.“
„Erhaltung von Leben durch Einfrieren“, sagte Troller, einer plötzlichen Eingebung folgend. „Können Sie auch bewusstes Leben einfrieren und wieder auftauen?“
„Auftauen auf alle Fälle“, sagte Jackson mit einem Anflug von Lächeln.
„Auftauen und reanimieren“, präzisierte Troller.
„Ist nicht mein Fachgebiet“, sagte Jackson. „Aber ich halte es nicht für ausgeschlossen. Ich meine, ich glaube nicht, dass es jetzt schon geht, aber in einer vielleicht nicht allzu fernen Zukunft . . .“ Er brach den Satz ab und stellte die Doppel-Helix zurück an ihren Platz.
Troller sah, dass Jane etwas sagen wollte, und gab ihr ein stummes Zeichen. Jane schloss den Mund wieder und wartete.
„Wissen Sie“, sagte Jackson nach einer Weile, „was mich beunruhigt, sind diese Kopftransplantationen. Wie gesagt, es ist nicht mein Fachgebiet, aber was der Kollege White an der Case Western da betreibt, das gibt mir doch zu denken. Seit 1970 ist er dabei, Rhesusaffen die Köpfe abzutrennen und sie
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