Gottes Gehirn
glaube, ein schwarzes. Schwarze Haut, schwarzes Hemd, weißes Haar.“
„Jetzt sitzt offenbar sein Negativ im Kran: weiße Haut, weißes Hemd, schwarzes Haar.“
Der Ausleger des Krans hatte eine graugrüne Tonne in die Luft gehoben und bewegte sie ruhig, mit geradezu souveräner Leichtigkeit auf das Haus zu, an dem eben noch gearbeitet worden war. Troller warf einen Blick hinauf. Arbeiter waren da oben nicht mehr zu sehen. Man hörte auch nichts. Es war tatsächlich Feierabend. Aber wenn Feierabend war, was machte dann die Tonne da oben? Sie hing jetzt genau über Janes und seinem Kopf.
„Irgendetwas stimmt hier nicht“, sagte Jane.
Sie starrten beide nach oben. Wie ein Damoklesschwert hing die Tonne über ihnen. Wenn sie jetzt losgelassen würde und herunterfiel, würden sie beide den Aufprall nicht überleben. Troller schaute hinüber zum Kran, wo hinter dem Glas der Kabine der neue Kranführer saß. Er versuchte zu erahnen, was der Mann vorhatte, aber noch während er sich das fragte, spürte er Janes Hand in der seinen. Während sie sahen, wie sich oben die Tonne vom Haken löste, sprangen sie auf und retteten sich mit einem gewaltigen Satz unter das Dach der Veranda.
Die Gäste im Cafe und die Paare und Passanten, die daran vorbeiflanierten, schrieen gellend auf. Die Tonne durchschlug mit einem infernalischen Krachen den weißen Holztisch, der neben Trollers und Janes Platz gestanden hatte.
Für einen Moment war Stille. Dann sahen alle, dass sich die Tonne, die offenbar mit Zement oder Sand gefüllt war, in Bewegung setzte und mit wachsender Geschwindigkeit auf Jane und Troller zurollte. Troller nahm alles wie in Zeitlupe wahr.
„Pass auf,“ schrie Jane und stieß ihn mit solcher Gewalt zur Seite, dass er über einen Stuhl strauchelte und hinfiel, während die Tonne knapp an seinen Füssen vorbeidonnerte und mit einem dumpfen Geräusch gegen die Hauswand prallte.
„Den schnappen wir uns“, stieß Jane hastig hervor und sprintete mit großen Schritten davon.
„Warte,“ rief Troller noch. Er wollte hinter ihr her, sie aufhalten, aber er kam nicht schnell genug hoch. Sein Bein schmerzte teuflisch. „Wo ist er? Haltet ihn fest!“, hörte er Jane rufen. „Er hat ein weißes Hemd an! Er wollte uns umbringen!“
Als er sich endlich aufgerappelt hatte, sah er sie vor dem Kran stehen und nach oben schauen. Sie sah auf einmal klein und hilflos aus, wie ein Kind im Angesicht eines Riesen. Die Tür zur gläsernen Kabine stand offen. Der Lift war wieder unten. Der Mann im weißen Hemd war nicht mehr da.
Es war immer noch schwül, aber jetzt am Abend war es doch erträglicher. Ein bisschen kühle Luft kam aus dem Zimmer, in dem sie die Klimaanlage angelassen hatten, obwohl die Tür offen stand und sie draußen auf dem Balkon mit dem schmiedeeisernen Gitter saßen. Das Hotel lag mitten im Vieux Carré, in der Dauphine Street. Das Holiday Inn, in dem sie gestern Nacht hätten schlafen sollen, war für diese Nacht ausgebucht. Irgendein Kongress. Mit Sicherheit war es aber auch schöner. Ein altes Haus mit einem hübschen Innenhof, einem Brunnen in der Mitte und dem Magnolienbaum, der seinen betörenden Duft zu ihnen heraufschickte.
Jane hatte ihr Notebook auf das runde Eisentischchen gestellt und wartete darauf, dass das Programm hochfuhr. „Weißt du, was ich mich immer gefragt habe?“
„Nein“, sagte Troller, „was?“ Er hatte ein Pflaster auf der Wange, als hätte er mit jemandem gefochten und nun einen ordentlichen Schmiss im Gesicht. Sein Bein schmerzte noch immer. Aber es war nicht so schlimm. Nur eine Hautabschürfung im Gesicht und eine Prellung an der Wade. Jane hatte zur Desinfizierung Jodsalbe darauf geschmiert, daher das Pflaster. Sie selbst war geschickter gesprungen als er und hatte nur ein paar blaue Flecken an der Schulter, weil sie irgendwo gegen gerempelt war.
„Ich habe mich immer gefragt, wie wohl ein höheres Wesen die Welt erfährt und wie wir in seinen Augen aussehen.“
„Gott?“
„Muss nicht sein. Nur ein Wesen mit höherer Intelligenz, als wir sie haben. Ich meine, man kann wahrscheinlich darüber streiten, wie intelligent ein Hund oder ein Affe ist, aber man wird von ihnen nicht erwarten, dass sie die Quantenphysik verstehen. Oder?“
„Nein.“
„Okay. Und jetzt nimm an, dass irgendwo ein Wesen herumläuft, dass sich zu uns so verhält wie wir uns zu den Hunden. Das würde dann vielleicht sagen: Die Menschen sind ja schon ganz schön weit mit ihrer Intelligenz, sie verstehen
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