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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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geschüttelt.
    „Tut mir Leid“, sagte er zu Turner und wusste selbst nicht genau, ob er Janes forcierte Richtigstellung oder seine eigene Begriffsstutzigkeit meinte, „aber – wieso Auschwitz?“
    „Meine Frau ist Jüdin. Ihre Großeltern wurden in Auschwitz ermordet. Die Brüder ihrer Mutter, bis auf einen, ebenfalls. Die ganze Mischpoke. Ab in die Gaskammer, raus mit den Goldzähnen, runter ins Massengrab. Finden Sie das schön?“
    Was für eine Frage, dachte Troller.
„Gleich nach unserer Hochzeit sind wir nach Deutschland gefahren. War ’ne schöne Reise. Ist ’n schönes Land. Der Rhein. Der Schwarzwald. Heidelberg. Oktoberfest. Aber zu Deutschland gehört für alle Ewigkeit Auschwitz, auch wenn es jetzt in Polen liegt. Wir haben es uns angesehen. Den Ort des Schreckens. Das Zentrum des Holocaust. Ausgemergelte Gestalten. Leichenberge. Massengräber. Finden Sie das schön?“
    „Warum reden Sie von Auschwitz?“, sagte Jane und schlug das linke Bein über das rechte. Ihr Rocksaum rutschte noch einen Fingerbreit höher. „Ich denke, Sie sind Physiker. Oder haben Sie umgesattelt auf Moraltheologe?“
    „Wenn schon, dann Physikotheologe“, sagte Turner, „aber so einer bin ich nicht. Ich sage nicht, die Welt ist perfekt geschaffen, und daran erkennt man Gott – ich sage, wir sind dazu bestimmt, Gott zu vollenden. Aber nicht bloß geistig, verstehen Sie, nicht bloß spirituell. Ich bin kein Spinner, weder von der Apokalypse noch von der Esoterikfront wie Chargaff, Behrman, Rubinowitz und Konsorten. Ich bin ein Physiker, der auf dem soliden Boden der Naturwissenschaften steht. Aber das Merkwürdige ist: Wo habe ich meine Hypothese gefunden?“ Er schaute Jane mit offenem Wohlgefallen an.
    „Keine Ahnung“, sagte sie. „Vielleicht bei Stephen Hawking oder einem Stringtheoretiker?“
    „In Auschwitz“, sagte Turner und schüttelte mehrmals den Kopf, so als verstehe er sich selbst nicht. „Ausgerechnet in Auschwitz.“ Für einen Moment fixierte er den Ventilator an der Decke, dann wandte er sich wieder Jane zu: „Ich will Ihnen sagen, wie es war: Ich stand in der Gaskammer und dachte: Es ist nicht nur grauenhaft, sondern auch abgrundtief hässlich. Auschwitz ist unfassbar hässlich, der Holocaust ist hässlich, die Vernichtung der Menschheit ist hässlich – und dieses Hässliche und Grauenhafte wird nicht siegen. Nein, das Leben ist schön. Und deshalb wird es nicht enden. Das ist meine Hypothese. Das Leben wird existieren bis zum Ende aller Zeiten.“
Turner machte eine kleine Pause und verfolgte interessiert, wie Janes Rocksaum noch weiter nach oben rutschte.
Womanizer, dachte Troller. Das war das Wort, das Lansky für Turner gebraucht hatte. Vielleicht ging der ja wirklich nachts, wenn er es mit seiner Omegapunkt-Theorie nicht mehr aushielt, in die Bourbon Street zu den kreolischen Huren.
„Wir Physiker“, fuhr Turner fort, „wissen schon seit alters her: Es ist wahrscheinlicher, dass ein schönes Postulat wahr ist als ein hässliches. Denken Sie an die Ordnung der Welt, die Newton postuliert hat. Die perfekte Harmonie. Die Welt als Uhrwerk, in dem jedes Rädchen auf wunderbare Weise in das andere greift. Oder Adam Smith, den man den Newton der sozialen Welt genannt hat. Auch er hatte die Hypothese, dass die Welt vollkommen ist – und hatte er nicht recht? Mehr als Marx? Mehr als Stalin? Mehr als alle, die die wahre Wurzel des sozialen Zusammenhalts, den menschlichen Tauschtrieb, ausrotten wollten? Der Mensch folgt seinem Eigennutz, und gerade dadurch dient er dem Gemeinwohl – das war Smiths Hypothese. Die Welt ist ein vollkommenes System. Und, um es noch einmal zu sagen, meine Hypothese lautet: Das Leben ist in seinem Kern schön, und deshalb wird es nicht zugrunde gehen.“
„Da bin ich aber wirklich beruhigt“, sagte Jane. „Ich hatte schon Angst, in ein paar hundert Millionen Jahren sei Schluss.“
„Sie meint in sieben Milliarden Jahren“, sagte Troller. „Wenn die Erde von der Sonne verschlungen wird.“
„Nein, nein“, sagte Turner, „Jane hat recht. Bereits in 900 Millionen Jahren wird die Leuchtkraft der Sonne so zugenommen haben, dass es uns auf der Erde zu heiß wird. Die Silikatfelsen verwittern schneller, das Kohlendioxyd fällt unter das kritische Niveau für Photosynthese, der Sauerstoff geht uns aus – und Schluss.“
„Und wie wollen Sie das aufhalten?“, fragte Jane.
„Gar nicht“, sagte Turner.
„Ich denke, das Leben währet ewiglich?“
„Sicher.

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