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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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klingt das ganze Klavier. Resonanz“ – er musste jetzt brüllen, um über das gewaltige Gedröhn hinüberzukommen, das von seinem Flügel ausging und den gesamten Raum ausfüllte – „ermöglicht Ganzheit. Resonanz ist die Quelle des Lebens. Sie ist das Werkzeug, mit dem Gott die Welt geschaffen hat.“
„Das – müssen Sie uns – erklären“, rief Jane.
Behrman hörte auf zu hämmern, und das Gedröhn verebbte. „Das Prinzip der Resonanz beruht auf unserer naturgegebenen Fähigkeit zum Hören von Obertönen“, sagte er. „Der Laie glaubt, er würde einzelne Töne hören, doch das stimmt nicht. Wir hören immer ein Toncluster, das aus dem Grundton und den von ihm angeregten Obertönen besteht, die allerdings umso leiser werden, je weiter sie sich vom Grundton entfernen.“ Er schlug noch einmal einen einzelnen Ton an. „Hören Sie die Nachschwingungen? Das ist nicht nur ein allein stehendes C, sondern eine auf dem C aufbauende Obertonreihe.“
„Und um welche Töne handelt es sich dabei?“
„Nehmen Sie der Einfachheit halber an, das C, das ich gerade angeschlagen habe, hätte eine Frequenz von 100 Hertz. Dann hören wir zugleich mit ihm die Oktave, also das eingestrichene C mit der Frequenz von 200 Hertz. Das ist der erste Oberton. Und die Reihe pflanzt sich augenblicklich fort: Es folgt mit 300 Hertz das G, mit 400 Hertz wieder ein C, mit 500 Hertz das E und so weiter. Das ist ein physikalisches Naturgesetz.“
„Klingt mehr nach Mathematik als nach Musik“, sagte Jane.
„Die beiden gehören seit jeher zusammen.“
„C, E, G“, sagte Troller und dachte unwillkürlich an einen Gitarrengriff. „Der C-Dur-Akkord.“
„Wie ich schon sagte, wir hören niemals nur einzelne Töne, wir hören immer Akkorde.“ Er ging zurück zum Flügel und klappte den Deckel über den Tasten zu. „Der springende Punkt ist nun, dass Resonanz kein Spezialfall der Musik oder Akustik ist, sondern in allen schwingenden Systemen vorkommt und alle miteinander verbindet.“ Er machte eine Pause und wiederholte: „Alle.“ Und nach einigen Sekunden: „Atome, Moleküle, Organe, Organismen, Personen, Gesellschaften und so fort. Resonanz ist das Band, das unser Leben zusammenhält. Das ist übrigens eine sehr alte Erkenntnis. Sie stammt von Pythagoras.“
„Von dem mit a-Quadrat plus b-Quadrat gleich c-Quadrat?“, fragte Jane.
„Richtig“, sagte Behrman, „von dem. Er war es, der um circa 500 vor Christus die natürliche Obertonreihe entdeckte. Und ich kann Ihnen sagen: Er war zutiefst erschüttert.“
„Warum?“
„Wegen der Regelmäßigkeit?“, fragte Troller. „Weil der Abstand zwischen den einzelnen Obertönen immer gleich ist?“
„Ja, und zwar immer gleich der Grundfrequenz“, ergänzte Behrman. „Pythagoras konnte nicht glauben, dass diese Regelmäßigkeit ein Zufall war. Er glaubte, dass diese Zahlenverhältnisse so etwas wie allgemeine Schöpfungsgesetze offenbarten. Und dieser Gedanke hat seither die bedeutendsten Geister beschäftigt. So griffen die Astronomen Pythagoras’ Einsichten auf und brachten die Zahlenverhältnisse der Obertonreihe mit den kosmischen Konstellationen in Verbindung. Sie waren davon überzeugt, die Sphärenmusik entdeckt zu haben. Warten Sie“, Behrman rannte, einer plötzlichen Eingebung folgend, auf die Galerie hinauf, wo die Bücherregale und gegen sie gelehnt die Bilder standen, räumte ein Bild beiseite, stellte es wieder zurück, räumte ein anderes beiseite und hatte auf einmal ein Buch in der Hand. „Hören Sie“, rief er von oben und stellte sich in Positur:
     
    „Die Sonne tönt nach alter Weise
    In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.“
     
    Er hatte es auf deutsch gelesen, und sein amerikanischer Akzent ließ die Verse noch bombastischer klingen, als sie ohnehin schon waren.
„Goethe“, sagte er, als er wieder bei ihnen war. „Faust. Prolog im Himmel. Sie kennen das wahrscheinlich. Beachten Sie bitte, dass es heißt: Die Sonne tönt. Sie scheint nicht, sie tönt! Und ich wünschte, wir könnten erfahren, was für Sphärenklänge der Dichter im Kopf hatte, als er diese Verse schrieb.“
„Wenn wir den Geniepark hätten, könnten wir ihn fragen“, sagte Jane.
„Ja, aber noch lieber würde ich mit Pythagoras darüber reden“, sagte Behrman. „Die Griechen hatten nämlich nicht so einen eingeschränkten Begriff von Musik wie wir. Sie ahnten schon früh den Einfluss der Götter, auch wenn erst Boethius, ein

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