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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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entscheidenden Schritt vollzog dann Ihr Landsmann Johann Sebastian Bach.“
„Mit dem wohltemperierten Klavier?“
„So ist es. Allerdings – genau genommen war es nicht Bach, sondern Werkmeister, der schon 1696 das wohltemperierte Klavier theoretisch begründet hatte, und Fischer hatte schon vor Bach zwanzig Präludien in dieser Stimmung geschrieben. Aber es war Bach, der mit seinen Werken der neuen Stimmung zum Durchbruch verhalf.“
„Was meinen Sie mit neuer Stimmung?“
„Die wohltemperierte Stimmung verstimmte die Quinte auf 700 cent.“
„Das macht bei sieben Oktaven 12 mal 2, also 24 cent weniger“, sagte Troller.
„Genau.“
„Verstehe“, sagte Troller. „Endlich ließ sich der zwölfte Ton auf den Ausgangston beziehen. Die Dissonanz war verschwunden.“
„Gott war verschwunden“, sagte Behrman. „Seit Bach sind alle Töne falsch. Es war der Beginn eines verhängnisvollen Trends zum Gleichmachertum. Seitdem haben alle Tonarten ihren individuellen Charakter verloren. Früher hatten C-Dur und Des-Dur einen völlig verschiedenen Klang. Heute sind sie gleichgeschaltet. Ihr besonderer Klangcharakter ist verschwunden. Und nicht nur das: Unsere natürliche Beziehung zur musica mundana ist damit zerstört worden. Wir haben unsere Ohren verstopft und sind nicht mehr in der Lage, Gott zu hören.“
„Wirklich eine interessante Theorie“, sagte Troller. „Aber wie kommt es, dass wir alle Bach lieber hören als jede Musik mit anderer Harmonik?“
Behrman sah Troller mit großem Ernst an. „Das habe ich mich auch gefragt, als ich mit meinen Forschungen begann. Erst nach und nach ist mir klar geworden, dass Harmonie Blindheit bedeutet. Unsere Gehirne sind von Bach manipuliert worden. Bach hat die Abweichung des zwölften Tons beseitigt und damit nicht nur die Verbindung zu Gott gekappt, sondern auch die existentielle Verunsicherung verdrängt, welche die Schöpfung charakterisiert. Diese sich ausbreitende Abweichung hat die Menschen gestört, dabei bedeutet sie Spannung und lebendige Vielfalt, überraschende Uneindeutigkeit, Verstörung. Bei der bachschen Tonleiter bleibt aber alles gleich. Verstehen Sie, was das bedeutet?“, sagte er mit dramatischer Geste. „Wenn es stimmt, dass die natürlichen Tonleitern auf den Sphärenklängen aufbauen und die Melodie des Geistes bestimmen, dann hat sich mit Bach die Melodie unseres Geistes und damit unsere Weltsicht grundlegend geändert. Wir haben uns abgeschnitten von der göttlichen Eingebung und können Gottes Botschaften nicht mehr hören, weil wir selbst Gott werden wollen. Vielleicht wurde deshalb Bachs Musik bisweilen als göttlich bezeichnet. Doch sie ist Hybris, weil sie die Abweichung verdeckt.“
„In welcher Weise?“, fragte Troller, der fasziniert und irritiert zugleich Behrmans Worten lauschte.
„Um es salopp zu sagen: Wir alle ticken seit der bachschen Revolution nach dem Metrum des wohltemperierten Klaviers. Es war die perfekte Gehirnwäsche. Das gesamte moderne wissenschaftliche Denken folgt diesem Metrum, unser Ordnungssinn, unser Machbarkeitswahn, unsere Neigung, alles zu begradigen und aus der Welt ein einziges Exerzier- und Experimentierfeld zu machen. Pythagoras hatte uns den Zugang zu Gott geöffnet, Bach hat ihn wieder verschlossen. Er war der Initiator einer tonalen Gehirnwäsche. Die bachsche Harmonik ist die perfekte Manipulation und zugleich die Grundlage aller Bestrebungen zur Vereinheitlichung unseres Denkens, unseres Fühlens, unseres Handelns. Um es pointiert zu sagen: Bach war ein Diktator.“
„Interessant“, sagte Troller und warf einen kurzen Blick zu Jane, die offenbar auch nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand.
„Ich weiß“, sagte Behrman, „diese These wird mich nicht populär machen, und es wird manche geben, die mich ihretwegen in eine Irrenanstalt sperren möchten. Aber ich bleibe dabei: Bach war einer der Wegbereiter einer Ordnungspolitik, die stets das Abweichende, das nicht Passende eliminieren will. Denken sie nur an die gestutzten Gärten des Barock! An die napoleonischen Alleen! An den militärischen Drill! An Schüler in engen Bänken und einheitlichen Uniformen! Denken Sie an die Korsetts, in die man die Frauen einschnürte, oder die Zoos, in die man die Tiere einsperrt. Ach, denken Sie an die Millionen von Eigenheimbesitzern, die in ihren eingezäunten Gärten das Ideal des englischen Rasens verwirklichen wollen. Keine chemische Keule ist ihnen brutal genug, um so genanntes Unkraut zu vertilgen –

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