nach Chicago gegangen?“
„Erst mal den Mississippi rauf, nach Memphis, Kansas City und so weiter – und dann Chicago, ja. King Oliver, Kid Ory, Louis Armstrong, Sidney Bechet, sie alle haben hier gespielt. Und die jungen Leute, die hier lebten und von dieser neuen Musik fasziniert waren, sperrten Augen und Ohren auf! Bix Beiderbecke, Jack Teagarden, Mezz Mezzrow . . .“
„Hör auf, Troller, ich kenn die Leute sowieso nicht. Wenn wir mal ganz viel Zeit haben, dann kannst du mir von jedem dieser sagenumwobenen Leute eine CD vorspielen und mir die passenden Geschichten dazu erzählen.“
„Wann?“
„Wenn wir mit allem durch sind. Hinterher.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“
Troller war mit einem Male in guter Stimmung. „Wollen wir tanzen?“, fragte er ohne zu überlegen.
„Muss das sein?“
„Unbedingt.“
Sie begannen mit einem Foxtrott, einem ganz normalen Foxtrott, aber schon nach wenigen Schritten schlug Troller das Herz höher. Jane ließ sich mit einer solchen Leichtigkeit von ihm führen, wie er es niemals erwartet hätte. Es kam nicht mehr allzu oft vor, dass er tanzte, nur noch auf irgendwelchen Hochzeiten oder runden Geburtstagen, und da war es meistens so, dass die Frauen glaubten sagen zu müssen, wo es langging. Maria war genauso. Er hatte immer den Verdacht gehabt, dass sie es für unter ihrer Würde hielt, sich von ihm führen zu lassen. Jedenfalls hatte sie immer ihren eigenen Kopf durchsetzen wollen, ihren eigenen Rhythmus, ihre eigenen Schritte. Jane dagegen verstand sofort, schon auf die leiseste Andeutung hin, was er wollte, ob eine Linksdrehung oder eine Rechtsdrehung, einwärts oder auswärts, nach vorn oder zurück. Er spürte etwas, was er seit Ewigkeiten nicht mehr mit einem anderen Menschen erfahren hatte: Harmonie. Es war genau genommen auch gar nicht so, dass er Jane führte und sie sich von ihm führen ließ, es war, als hätte ein gemeinsamer Geist sie ergriffen, irgendetwas, das über ihnen oder zwischen ihnen war und sie beide lenkte. Sie schwebten mit einer solchen Leichtigkeit über die Tanzfläche, dass Troller sich wünschte, Jane ewig so im Arm zu halten und ihr nahe zu sein, ihrem schlanken Körper, ihrem ebenmäßigen und etwas rätselhaften Gesicht, ihrem sinnlichen Mund, der ihn offen anlachte, während die Augen immer einen leicht spöttischen Ausdruck behielten.
Er hatte Lust, sie zu küssen. Einfach so. Aber er würde sich hüten! Eine falsche Bewegung, und alles war vorbei! Das war in der Liebe nicht anders als bei der Konfrontation mit einem Gangster oder der Polizei.
„Genug“, sagte Jane, als die Band In the Mood beendet hatte, und zog ihn zum Tisch zurück. „Aber es war schön.“
„Genau das wollte ich auch gerade sagen.“
„Gut, dass du’s nicht getan hast.“
Was hieß denn das jetzt wieder? Warum sprach sie auf einmal so in Rätseln? Das tat sie doch sonst nicht! Normalerweise brachte sie die Dinge immer ohne Umschweife auf den Punkt, nur wenn es um Privates oder Persönliches ging, wurde sie zur Sphinx. Man musste sie so nehmen, wie sie war. Bloß nicht alles zu genau wissen wollen. Was in der Wissenschaft gut sein mochte, war in der Liebe noch lange nicht gut. Wie kam er nur dauernd auf dieses Wort?
Ich glaube, ich bin ein kompletter Idiot, dachte Troller, als sie aus dem Taxi stiegen und ins Hotel zurückgingen, aber wer weiß, vielleicht schaffe ich es ja, das noch eine Weile zu verbergen.
„Troller?“
„Was ist los?“
„Hast du schon geschlafen?“
„Nein, noch nicht.“
Das war die Wahrheit. Er hatte wieder an sie gedacht, als das Telefon klingelte.
„Kann ich zu dir kommen?“
„Klar, was ist denn los?“
„Warte, ich bin gleich da.“
Sie hatte sich nur eben den dünnen Mantel übergeworfen, darunter trug sie ein Männer-T-Shirt, darunter vermutlich einen Slip. Von wem hatte sie das T-Shirt? Aus Taiwan? Gab es eigentlich einen Mann in ihrem Leben? Er hatte sie noch nicht danach gefragt. Er würde es auch nicht tun.
„Schließt du bitte die Tür ab.“
„Schon geschehen.“
„Ich meine: richtig. Mit der Kette.“
„Was ist los mit dir?“ Er schloss die Tür ab und folgte ihr zu dem kleinen Schreibtisch, an den sie sich gesetzt hatte.
Sie hatte ihr Notebook aufgestellt und hielt es so, dass er die E-Mail lesen konnte. Absender wie in New Orleans:
[email protected]. Der Text lautete:
Anstatt nach Deutschland zu fliegen, haben Sie die Reise ins Jenseits gebucht. Gute Fahrt! – Ein Freund.
P. S.: Wenn Sie Musik lieben,