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Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Titel: Gottes kleiner Finger - [Thriller] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Menschenleben zu retten, dachte Katharine. Aber die Sache geriet außer Kontrolle so wie immer, wenn zu den Waffen gegriffen wird. Denn Russland kam Serbien zu Hilfe und Deutschland Österreich, und Frankreich und England ...
    Sie hörten das Heulen, als die nächsten Granaten abgeschossen wurden. Flammen schlugen aus dem Gewächshaus, Explosionen ließen das Glas zersplittern, Sand wurde zum Himmel geschleudert, und ein Regen von Glassplittern fiel klirrend auf das Dach herab.
    »Und wir stehen jetzt hier herum und sehen zu, wie sie das Gewächshaus in Stücke schlagen, oder?«, fragte Keskitalo.
    »Ich fürchte, ja«, bestätigte Janet.
    ... und als Folge der Schlacht von Sarikamish der Völkermord an der armenischen Minderheit in der Türkei, dachte Katharine. Eine Million, vielleicht sogar zwei Millionen Tote.
    Die Granatwerfer der Angreifer spien jetzt in regelmäßigen Abständen Granaten aus, manchmal nur eine, manchmal zwei gleichzeitig. Sie fielen hierhin und dorthin, schlugen in das Glasdach immer neue und neue Löcher und schleuderten beim Explodieren Splitterwolken in die Luft, die schnell herabfielen und auf den heilen Teil des Dachs prasselten.
    Wer erinnert sich noch an den Völkermord an den Armeniern, hatte Hitler knapp drei Jahrzehnte später gesagt.
    Die Einschläge der Granaten wurden seltener. Anscheinend war nur noch ein Granatwerfer im Einsatz.
    ... und sie vergewaltigten und kreuzigten auch meine Großmutter, dachte Katharine, und sie wäre gestorben, wenn nicht die Kosaken sie gerettet hätten. Und immer noch glaubt niemand, dass so etwas wahr sein kann, aber als ich klein war, sah ich die Narben in den Handflächen und an den Füßen meiner Großmutter, und sie begann immer zu weinen, wenn ...
    Der zweite Granatwerfer eröffnete wieder das Feuer. Sie hörten, wie ein Geschoss laut über sie hinwegheulte und dann an der Flanke des Sonnenturms explodierte. Auf das Dach des Kontrollraums stürzte ein Schwall kleiner Betonstücke herab, wie ein Schauer von hühnereigroßen Hagelkörnern.
    ... elf Millionen Tote Soldaten, dachte Katharine, und zivile Opfer ...
    »Der Turm hat einen Treffer bekommen«, sagte Janet. »Das ist nicht gut.«
    Wir sind so zerbrechlich und verwundbar, wir Menschen, dachte Katharine.
    Die Angreifer hatten zumindest den einen Granatwerfer näher herangebracht. Auch der Kontrollraum lag jetzt in Reichweite ihres Beschusses.
    »Wir sollten uns zurückziehen«, sagte Janet.
    »Frau Schrader gefällt das nicht«, bemerkte Keskitalo. »Sie kann deswegen in persönlichen Konkurs geraten.«
    Dann der Bürgerkrieg in Russland, dachte Katharine. Noch mehr unwiderruflich kaputte Menschen. Noch mehr kaputtes Glas.
    Die nächste Granate schlug noch näher ein. Leuchtendes Orange flammte im Dunkeln auf, und es regnete Glassplitter.
    Sieben Millionen Tote, vielleicht noch mehr.
    Feiner Glasstaub wogte in dicken, rotierenden Wolken.
    Die Sowjetunion und Stalins Verfolgungen, dachte Katharine. Für eine Million Menschen ein Genickschuss mit dem Nagan.
    Staub drang in den Kontrollraum. Katharine hustete kurz vor dem Ersticken und hatte Blutgeschmack im Mund. Diesen Dreck einzuatmen kann nicht gesund sein, dachte sie.
    Der GULag, Gláwnoje uprawlénie lageréj. Über zwei Millionen Menschen, die in den Straflagern umgekommen sind. Noch mehr, wenn man auch all diejenigen hinzurechnet, die aus den Arbeitslagern als gebrochene Menschen, als kaum noch lebende Ruinen zum Sterben nach Hause entlassen wurden. Dann die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und die Hungersnot in der Ukraine.
    Katharine vernahm ein schreckliches Jammern, es war eher wie das Geheul eines verletzten Tiers als die Stimme eines Menschen. Die Stimme kam von der Brücke, die zum Gewächshaus führte. Als Katharine hinausschaute, sah sie eine grauenhaft verstümmelte menschliche Gestalt, deren Unterkiefer verschwunden war und dessen eine Gesichtshälfte in blutigen Fetzen auf Hals und Schulter herabhing. Dann erbebte die Gestalt, als sie von einer Anzahl Sturmgewehrkugeln getroffen wurde, und stürzte ohne einen Laut über das Geländer. Katharine hielt sich die Hände vor die Augen. Sie war dankbar dafür, dass sie nicht hatte erkennen können, wer es gewesen war.
    Der Krieg ist wirklich schön, dachte Katharine verbittert, dreimal verdammt festlich und schön. Heulend stieg die nächste Granate zum Himmel auf. Nicht noch mehr, dachte Katharine. Das hier hat schon viel zu lange gedauert. Nicht noch mehr, ich kann nicht

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