Gottes kleiner Finger - [Thriller]
schluckte. Es tut mir so furchtbar leid, dachte sie. So schrecklich, unsäglich leid. Aber es gibt nichts mehr, was ich tun könnte.
Katharine versuchte, durch den Staub hindurchzusehen, in welchem Zustand sich Janet befand. Sie hatte unmittelbar neben Keskitalo gestanden, als die Granate den Kontrollraum traf. Janet war auf allen vieren am Fußboden und bemühte sich aufzustehen. Sie hatte im Gesicht lange Blutspuren.
»Janet!«, rief Katharine.
»Ich ... bin ganz ... okay«, sagte Janet hustend und setzte sich aufrecht hin. »Was ist mit Keskitalo?«
»Er ist tot«, sagte Katharine.
Als sie näher an Janet herankam, sah sie, dass ein dreieckiges Stück Glas tief in ihren Oberschenkel eingedrungen war. Es sah jedoch so aus, als steckte es an keiner sehr gefährlichen Stelle. Zugleich spürte Katharine, dass auch ihr Blut von der Stirn floss. Noch mehr Schrammen im Gesicht, dachte sie, zum Glück bin ich schon in Rente.
Wieder explodierte in der Nähe eine Granate. Glas und Sand schwallten in den Kontrollraum herein und prasselten auf sie herab. Wie lange noch?, dachte Katharine. Wie viele von uns sind überhaupt noch übrig? Beziehungsweise ... es sind doch wohl noch ein paar andere übrig außer mir und Janet?
Kurz darauf kam Jaime Oroza, der sich die blutige Schulter hielt, vor Schmerz das Gesicht verzog und stark hinkte, in den zerstörten Kontrollraum gestolpert.
»Ist es schlimm?«, fragte Janet.
»Ich kann den rechten Arm nicht bewegen ... von mir habt ihr nicht mehr viel Nutzen. Sie werden uns in Fetzen schießen! Uns alle!«
»Sind irgendwo noch andere?«, fragte Katharine.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Jaime. »Ich bin nicht sicher, aber ... ich kann es mir nicht vorstellen.«
Na prima, dachte Katharine. Ein einarmiger Mann und zwei Frauen, von der die eine nur ein paar Schrammen und die andere ein großes Stück Glas im Schenkel hat. Und wie viele Männer sind dort draußen auf dem Weg hierher? Zweitausend?
Katharine sah das zu Boden gefallene Fernglas, wischte es an ihren Kleidern ab und hob es an die Augen. Das, was sie sah, ließ ihre Stimmung noch weiter sinken. Die Wüste, die das Gewächshaus umgab, war voller bewaffneter Männer, die in unzähligen, verschieden großen Gruppen und Horden auf den Sonnenturm zurannten. Plötzlich wurde Katharine sich dessen bewusst, dass schon seit vielen Minuten keine Granate mehr auf das Gewächshaus abgefeuert worden war. Der abschließende Sturmangriff hatte also begonnen. Wir hätten wohl doch die Hotchkiss einsetzen sollen, dachte sie, jetzt stirbt die Nachtstrom produzierende Sonnenenergie in der ägyptischen Wüste noch einmal.
Schon zeigte sich im Osten hinter den Hügeln das erste Licht der Sonne. Gleich würde es hell werden.
»Anscheinend sind ihnen die Granaten ausgegangen«, bemerkte Janet.
»Nur ist das für uns leider kein besonders erfreulicher Umstand«, knurrte Jaime. »Jetzt müssen sie näher kommen und den Rest in Handarbeit erledigen.«
Rheya, dachte Katharine, und Tränen brannten ihr in den Augen. Sie würde ihre Tochter Rheya nie wiedersehen. Sie hatte so gehofft, dass ... Aber das würde jetzt niemals geschehen. Sie würde nicht erleben, wie Rheya aufwuchs und eine Familie gründete. Sie würde niemals ihre Enkelkinder kennenlernen.
Daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Hoffentlich würde Rheya zurechtkommen. Hoffentlich würde sie glücklich werden!
Vor Schmerzen stöhnend und sich den Schenkel haltend, kam Janet mühsam auf die Beine. Ihre Hose war blutgetränkt, und ihr Gesicht war gefährlich blass.
»Ich möchte diesen Kerlen eigentlich nicht lebend in die Hände fallen«, ächzte sie.
Ein sehr erwägenswerter Gedanke, dachte Katharine. Aber was machen wir mit Razia und Jacques? Müssen wir wirklich ...
Die ersten Sonnenstrahlen fielen in den Kontrollraum. Katharine versuchte, zum Haupttisch zu gelangen, um anstelle des Nachtfernglases einen gewöhnlichen Feldstecher zur Hand zu nehmen. Unter ihren Schuhen knirschte es, denn der ganze Fußboden war mit Glasscherben bedeckt. Einige davon waren große, bis zu einem Meter lange, schmale Stücke, aber die meisten waren kleine Splitter oder Partikeln, wie aus Glas bestehender Sand. Die allerkleinsten Glaspartikeln schwebten in der Luft wie Staub, der die Augen, die Kehle und die Gesichtshaut reizte.
Katharine wischte das Fernglas ab und hob es an die Augen. Die Angreifer waren keinen Kilometer mehr vom Rand des Gewächshauses entfernt. Aber sie rannten nicht
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