Gottes kleiner Finger - [Thriller]
Verhältnis hat wie zu den Benzinern. Oder zu den Dieselmaschinen.«
Katharine zwinkerte ein paarmal mit den Augen und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie überhaupt nicht verstand, wovon Keskitalo sprach. Ja, ja, dachte sie, da habe ich doch wieder einmal eine Bestätigung für meine Vorurteile bekommen.
»Könntest du mir das erklären?«, bat sie.
Keskitalo sah sie schüchtern an und wirkte plötzlich sensibel und verletzlich.
»Ich glaube, das hat etwas mit der Kindheit zu tun. Und damit, was einem von der Kindheit erinnerlich ist. Gerüche, Geschmäcker, Empfindungen. Geräusche. Das Knattern des Außenbordmotors erinnert dich daran, wie du noch ganz klein warst und mit Vater und Mutter und Schwester im Boot saßest. Wie die Sonne schien und die Wellen gegen den Steg plätscherten. Der Benzingeruch erinnert dich daran, wie es dunkel war und Vater fuhr und leise mit der Mutter sprach und wie du selbst mit der Schwester auf der Rückbank des Autos zugedeckt warst und es warm hattest. Alles war sicher und gut, und es gab noch nichts Böses auf der Welt, weil die bösen Dinge der Welt noch nicht erwacht waren.«
Keskitalo seufzte.
»Wir sind keine sonderlich rationalen Wesen. Meistens verstehen wir nicht einmal, warum manche Dinge so wichtig sein sollen. Aber die Elektroautos können für unsere Generation emotional niemals so viel bedeuten wie die Benzin- und Dieselmaschinen. Denn sie gehören nicht zur Landschaft unserer Kindheit!«
Handeln wir so mechanisch?, fragte sich Katharine. So viel zur einzigartigen Intelligenz des Menschen!
Da öffnete sich die Tür des Lagerhauses, und es erschien Razia al-Qasreen. Sie kam direkt auf Katharine zu. Offenbar hatte sie sie gesucht.
»Was sollen wir hiervon halten?«, fragte Razia verwundert und zeigte Katharine einen Zettel mit einigen Zeilen arabischen Textes.
»Das kommt von Azhrawi«, erklärte Razia. »Wir sollen wissen, dass Lauri wahrscheinlich zusammen mit seiner Adoptivtochter in die Wüste geflohen ist.«
»Wie bitte?«, fragte Katharine verblüfft.
Razia steckte den Zettel in die Tasche und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.
»Mehr teilt Azhrawi nicht mit.«
»Merkwürdig«, überlegte Keskitalo laut. »Wirklich merkwürdig. Hast du gesagt, dass Azhrawi eine Adoptivtochter hat?«
»Sie heißt Khadidja Ahmed«, erzählte Razia. »Ich hab mal gehört, dass ihr Vater aus einer reichen Kairoer Familie stammte. Ihre Mutter war wohl eine Tuareg.«
»Wieso ist sie Azhrawis Adoptivtochter?«, fragte Katharine.
»Wenn ich mich recht erinnere, starben ihre Eltern in der Wüste, als sie Azhrawis Gäste waren. Sodass Azhrawi wohl keine Alternative hatte. Das war wohl eine Frage der Ehre. Außerdem wollte Khadidja wohl auch selbst in der Wüste bleiben. Sie hat sich in Kairo wohl nie sonderlich wohlgefühlt.«
Razia fiel etwas ein, und ein amüsiertes Grinsen huschte über ihr Gesicht.
»Hoffentlich hast du wirklich das gemeint, was du sagtest, als du mir von euerm Verhältnis erzähltest!«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine nur, dass ... du kannst Abdullah fragen! Frag ihn, was er von den Tuaregfrauen hält.«
»Wovon sprichst du denn jetzt?«
Razia wurde ernst.
»Im Hedschas zum Beispiel war eine Frau trotz der Lehren des Propheten niemals viel mehr wert als ein Hund«, sagte sie. »Aber die Tuareg sind das andere Extrem. Sprich mit Abdullah, wenn du mehr wissen möchtest, er hat viel Erfahrung mit den Tuareg.«
Razia gibt sich aber geheimnisvoll, dachte Katharine. Aber sie tat, was Razia ihr vorgeschlagen hatte, und suchte Abdullah auf. Als sie ihn fragte, was er von der Kultur der Tuareg und besonders der Tuaregfrauen wisse, sah Abdullah sie eigentümlich an und sagte eine ganze Weile lang gar nichts.
»Sicherlich weißt du, dass sie einige recht bedenkliche Sitten haben«, murmelte Abdullah schließlich. »Besonders ihre Frauen.«
In Abdullahs Stimme lag ein besonderer Unterton, eine Mischung von Missbilligung und Respekt, als er Katharine die seltsamen Sitten der Tuareg erklärte. Vor allem benutzten die Tuaregfrauen keinen Schleier so wie die frommen Musliminnen. Bei den Tuareg waren es die Männer, die ein das Gesicht bedeckendes Tuch namens Tagelmous trugen.
Die Tuaregfrauen konnten sich von ihrem Mann leicht scheiden lassen, wenn sie dazu Lust hatten, aber wenn ein Mann dasselbe tun wollte, war alles plötzlich viel schwieriger. Es gab so viele verschiedene Hindernisse und Beschränkungen, dass, wenn die Frau die
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