Gottes kleiner Finger - [Thriller]
der Dünen fanden sich stellenweise Flächen harten Sandes. Die Kamele besaßen anscheinend einen phänomenalen Instinkt, mit dem sie die Stellen suchten und fanden, über die sie am leichtesten vorankamen. Zwischen den Dünen und an deren Hängen gab es auch viele Bereiche, wo der Sand weich, fein und nachgiebig war und wo selbst die breiten Füße des Kamels tief eingesunken wären. Die Beine der Menschen wären bis zu den Knien versunken und ein Geländewagen bis zu den Achsen.
Es wurde Lauri klar, dass ihre Verfolger schon weit zurückgefallen sein mussten, wenn sie versucht hatten, ihnen mit Lkws oder Geländewagen zu folgen. Auf dem Kamelrücken brauchten sie überraschend wenig Zeit für die Überwindung auch einer großen Sanddüne, selbst dann, wenn sie quer zu ihrem Kurs lag. Wenn der Scheitel einer Düne von einer harten Kruste bedeckt war und in die richtige Richtung führte, legten sie eine mehrere Kilometer lange Strecke oft in erstaunlich kurzer Zeit zurück.
»Du bist nicht wie die anderen Europäer, die ich kennengelernt habe«, bemerkte die Frau viel später, und in ihrer Stimme lag eine freudig überraschte und billigende Nuance.
Lauri antwortete nicht, sondern wartete darauf, dass die Frau ihren Gedanken zu Ende führte.
»Du erträgst das Schweigen, und du erträgst es nicht nur, sondern du magst es auch«, fuhr sie fort. »Du hast nicht das Bedürfnis, die Stille sofort mit deiner eigenen Rede zu füllen. Du kannst der Stille der Wüste lauschen anstatt deiner eigenen Stimme.«
»Danke«, sagte Lauri. »Das war das schönste Kompliment, das ich in letzter Zeit zu hören bekommen habe.«
Einen Augenblick dachte Lauri über die Worte der Frau nach.
»Wir Finnen stammen ursprünglich aus der Tundra, von den Sümpfen und aus großen, stillen Wäldern«, fügte er dann hinzu. »Aus dem hohen Norden, wo es sehr wenig Menschen gibt. Vielleicht ein paar mehr als hier, aber nicht viel mehr.«
»Gibt es auch dort kein Wasser?«, fragte die Frau.
»Doch, sogar ungeheuer viel«, lachte Lauri. »Nur gefriert es für einen Teil des Jahres.«
»Oh!«
Allerdings haben Trockenheit und Kälte die Landschaft oftmals in ganz ähnlicher Weise geprägt, dachte Lauri. Schneewehen haben häufig ganz ähnliche Formen wie Sanddünen. An den Rändern der Sahara sind die Hügelkuppen meist kahl, aber in den Senkungen der Abhänge gibt es Vegetation in zarten, dunklen Streifen ebenso wie in den warmen Bachtälern zwischen den Fjälls in Lappland.
»Die Finnen gehen oft in den Wald, in die Sümpfe, ans Meeresufer oder auf den Fjäll, nur um allein zu sein und auf die Stille zu horchen«, sagte Lauri. »Oder um zu lauschen, wie der Wald im Sturm braust. Um zuzuschauen, wie die Bäume mit dem Wind tanzen.«
»So ähnlich machen wir es auch«, sagte die Frau. »Auch wir gehen manchmal allein in die Wüste, um zu horchen, wie die Dünen singen und der Sand tanzt.«
Die Frau sah Lauri an, und ihr Gesichtsausdruck ließ sich schwer deuten. Dann wandte sie sich vorwärts. Wieder nur Stille, und die ruhige, einschläfernde, schaukelnde Bewegung des Kamels.
»Dort im Tal ... Du hast dich sehr bemüht, niemanden zu töten«, sagte die Frau nach einer halben Stunde des Schweigens. »Warum? War das christliche Ethik?«
»Vielleicht ein wenig auch das«, bestätigte Lauri. »Aber wo hast du selbst so gut schießen gelernt?«
Die weißen Zähne der Frau blitzten im Mondlicht.
»In der Wüste gibt es heute sehr wenig Wild, und meistens ist es sehr klein. Gazellen sind selten. Wenn man versucht, allein durch die Jagd auf Wüstenspringmäuse zu überleben, muss der Mensch entweder sterben, oder er wird ein guter Schütze.«
»Ich nehme an, das war nur ein Witz«, sagte Lauri.
»Das ist es eigentlich nicht immer.«
Meinte die Frau das ernst? Oder hatte sie einfach nur einen speziellen Sinn für Humor? Lauri wusste es wirklich nicht, ließ die Sache aber auf sich beruhen.
»Weißt du, wer die Typen eigentlich waren, die uns angegriffen haben?«, fragte er stattdessen.
»Einige von ihnen machten den Eindruck von Sicherheitsleuten, die für ausländische, in Ägypten ansässige Unternehmen arbeiten. Darunter waren aber auch Sudan-Araber. Ich glaube, das waren Dschandschawid. Rizeigat-Abbala aus Darfur und Kurdufan.«
»Rizeigat-Abbala?«, wiederholte Lauri verwundert.
Es fiel ihm schwer, das zu glauben. Er wusste, dass die wichtigsten Araber-Gruppierungen von Darfur die Abbala-Rizeigat und die Baggara-Rizeigat waren. Die
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