Gottes kleiner Finger - [Thriller]
Sandsturms hindurch immer wieder elektrisches Knistern zu hören, und einmal sah er, wie ein kleiner Funke vom Schwanz des Kamels auf das Fell übersprang.
Sie stiegen den einen Dünenhang hinab und den nächsten wieder hinauf, immer wieder und wieder.
Wir müssen etwas trinken, dachte Lauri. Sein Mund fühlte sich an wie ein tausend Jahre altes griechisches Pergament.
Schließlich machte Khadidja halt und holte die Feldflasche hervor. Lauri folgte ihrem Beispiel. Sie tranken in tiefen Zügen von dem Wasser. Khadidja beugte sich zu Lauri und führte ihren Mund ganz nahe an sein Ohr heran, damit er sie hören konnte.
»Hier können wir nicht bleiben«, hustete Khadidja. »Wir müssen weiter.«
»Wie weit noch?«, krächzte Lauri.
Aber Khadidja hatte sich schon abgewandt und hörte nicht, was Lauri wissen wollte.
Sie setzten ihre immer mechanischer werdende Anstrengung durch fliegenden Sand und sengende Hitze fort. Lauri dachte an die ihnen folgenden Lastwagen und überlegte, ob sie noch fahren konnten oder ob der Sand die Filter der Kühler so verstopft hatte, dass das Kühlwasser angefangen hatte zu kochen und die Überhitzung die Motoren hatte ausfallen lassen. Falls sie weiterhin liefen und die Autos in Bewegung geblieben waren, könnten die Verfolger den Weg durch die Sandwüste vielleicht schaffen, trotz des wütenden Shahali. Aber der Wind blies jetzt wirklich scharf. Wenn die Autos anhielten, würde sich neben jedem Lastwagen schon nach zehn Minuten eine kleine Sanddüne aufhäufen. Falls der Sturm lange dauerte, könnte es passieren, dass die Autos völlig von dem Sand verschüttet wurden. Dann würden die Verfolger samt ihren Autos im Sand versinken, falls sie dort blieben. Wenn sie andererseits versuchen sollten, sich zu Fuß durch die Sandwüste durchzuschlagen und sich verirrten, würde es ihnen wahrscheinlich nicht besser ergehen.
Zumindest können sie uns nicht finden, bevor der Sandsturm vorüber ist, dachte Lauri. Vielleicht sterben wir alle in diesem Hexenkessel. Vielleicht werden niemandes Knochen jemals gefunden, ehe in tausend Jahren ein neuer Sandsturm die Dünen von unseren Skeletten fortbläst. Und auch dann nur, falls jemand zufällig genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.
Das Stapfen durch den weichen, nachgebenden Sand wurde immer anstrengender. Es kam Lauri vor, als sänken seine Beine bei jedem Schritt viel tiefer in den Sand als noch kurze Zeit zuvor. War der Sand wirklich feiner und nachgiebiger geworden, oder bildete sich in seinen Muskeln Milchsäure, sodass sie sich nicht mehr so anspannen konnten wie bisher?
Falls sie sich auf ein Fech-Fech, ein Gebiet mit dem gefürchteten feinen Flugsand, zubewegten, würden sie wahrscheinlich nicht überleben.
Doch dann wurde der Boden überraschend wieder fester. Unter ihren Füßen befand sich zunächst eine nur noch ein bis zwei Zentimeter dicke Sandschicht und dann nur harter, unnachgiebiger Kies. Sie waren auf eine Hammada, eine Steinwüste, gekommen! Die Luft war immer noch voll Sand und Staub, aber die Sicht wurde allmählich besser. Lauri konnte Khadidja und ihr Kamel schon deutlich erkennen. In Sand und Kies gab es hier und dort rote und schwarze Steine. Einige Minuten später betrug die Sicht schon etwa hundert Meter.
»Wir haben es geschafft«, hustete Khadidja. »Wir haben überlebt!«
Ihre Stimme war trocken und heiser von dem Staub, der wie Sandpapier im Hals kratzte.
Je weiter sie auf die Hammada kamen, desto besser wurde die Sicht und desto schneller kamen sie voran. Der Wind tobte weiterhin um sie herum und zerrte an ihren Kleidern, aber das Geräusch war jetzt leiser und gemäßigter.
Khadidja warf einen Blick zur Sonne, die wieder sichtbar geworden war. Sie war weiterhin ein blasser, fahler Schemen, aber immerhin war sie wieder da und wurde allmählich klarer. Der Wind wehte immer noch heftig, sengend heiß und trocken, aber die Staubmenge, die er mit sich führte, wurde immer geringer.
Lauri war jetzt wirklich müde. Sein Arm schmerzte, und seine Beine waren schwer wie Blei. Er war mit seinen Kräften langsam am Ende. Habe ich zu wenig Wasser getrunken?, fragte er sich. Oder lag die Müdigkeit am Wundfieber? Hatte er überhaupt Fieber? Er konnte es nicht sagen.
Auf jeden Fall hatten sie wieder etwas Lebenszeit gewonnen und waren schon zum dritten Mal dem Netz, das sich um sie zusammenzog, entkommen. Aber Lauri kam nicht umhin, sich zu fragen, wie lange ihre Gnadenfrist diesmal dauern
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