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Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Titel: Gottes kleiner Finger - [Thriller] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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einen Augenblick und kaute heftig auf ihrer Lippe herum.
    Auch du, mein Sohn Brutus, dachte Katharine. Als hätte ich genau dieselben Dinge nicht schon eine Million Mal gehört. Okay, okay, ich bekenne. Ich bin schuldig, ich komme aus den Vereinigten Staaten. Ich bin verantwortlich für alles, was unsere Regierung getan hat. Tötet mich. Und foltert mich meinetwegen zuerst.
    »Wisst ihr, was für mich das Teuflischste ist, was die Menschen dieser Welt anderen Menschen gerade jetzt antun?«, fragte Razia plötzlich.
    In ihrer Stimme lag eine überraschende Härte. Eine Schärfe, die Katharine noch vor ein paar Minuten nicht darin gespürt hatte. Warum ist das für Razia so wichtig?, überlegte Katharine und spürte, wie ihr eigener Ärger verflog.
    »Die Kernwaffen?«, schlug Katharine vor.
    Razia beobachtete, wie Keskitalo in seinem Glas Tonic-Wasser und Gordon’s Gin mischte. Katharine wandte sich in die Richtung seines Blicks.
    »Jeder Mensch, der sich mit Drogen ruinieren will, kriegt das immer irgendwie hin«, sagte Razia.
    Keskitalo nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Dann noch einen zweiten und einen dritten. Er bemerkte, dass das Glas überraschend leer war, und schenkte sich den Rest des Tonic-Wassers ein. Dann schraubte er wieder den Korken der Ginflasche auf.
    »Ich weiß im Wesentlichen, warum Keskitalo versucht, sich mit Gin umzubringen«, sagte Razia. »Er kann nicht vergessen, was seiner indonesischen Familie passiert ist.«
    Keskitalo hörte Razias Worte.
    »Verzeihung, dass ich existiere«, knurrte er.
    »Aber warum ist es so wichtig zu bestätigen, dass Keskitalo sich gerade mit Gin und nicht mit etwas anderem umbringt?«, fragte Razia rhetorisch, aber ihre Stimme hätte Stahl schneiden können.
    »Na, wenn du es so sagst ...«
    »Tut so, als ob ich gar nicht da wäre«, murmelte Keskitalo.
    »In Indien zum Beispiel bekommt heutzutage nur einer von hundert sterbenden Krebspatienten Morphium gegen seine Schmerzen, obwohl das legale Morphium kaum etwas kostet«, platzte Razia heraus. »Weil die Regierung der Vereinigten Staaten sagt, dass die Krankenschwestern oder andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens kein Morphium an Krebspatienten verabreichen dürfen. Damit bloß niemand süchtig wird.«
    Hat das Ganze jetzt auch einen persönlichen Hintergrund?, überlegte Katharine.
    »Wegen der Drogenpolitik der Vereinigten Staaten sterben auch in diesem Jahr Millionen von Menschen unter fürchterlichen Qualen«, sagte Razia. »An Krebs, an Aids und an anderen Krankheiten, die schwere Schmerzen verursachen. Und ihre Angehörigen und Freunde sterben in gewisser Weise zusammen mit ihnen. Denn sie können sich niemals mehr ganz von all dem erholen. Sie können niemals wieder wirklich glücklich sein, nachdem sie so etwas erlebt haben. Nachdem sie monatelang hilflos hatten mit ansehen müssen, was mit ihren Lieben geschah. Mit ihrer Mutter oder ihrem Vater. Mit ihrer Schwester oder ihrem Bruder. Oder, im allerschlimmsten Fall, mit ihrem eigenen Kind.«
    Razias Stimme wurde lauter.
    »In den Vereinigten Staaten und Europa bekommen heutzutage fast alle todkranken Krebspatienten so starke Morphiumgaben, dass das Ende nahezu schmerzfrei und geradezu gnädig ist. Warum gewähren die Vereinigten Staaten das nicht auch den anderen Menschen? Wie können sie sich so fanatisch und blind einbilden, immer in allem recht zu haben, egal, was sie tun?«
    Plötzlich sah Katharine Tränen in Razias Augen, die eine Sekunde darauf jählings aufsprang und zur Tür des Kontrollraums eilte.
    »Da hast du das absolute Böse«, schrie Razia. »Die Drogenpolitik der Vereinigten Staaten!«
    Razia eilte hinaus, und Katharine sah ihr verwirrt nach.
    »Sie spricht natürlich vor allem von ihrer Mutter«, erklärte Keskitalo Katharine, jetzt schon mit etwas trunkener Stimme. »Ich meine, wenn du wissen willst, worum es hier geht.«
    »Konnten sie es sich denn nicht leisten, zum Arzt zu gehen?«, fragte Katharine verwundert.
    Keskitalo ging und schenkte sich ein neues Glas voll.
    »Razias Mutter wollte sich von ihren Verwandten verabschieden«, erklärte Keskitalo. »Sie wusste, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte. Da kamen schwere Unruhen, und der Weg nach Kairo war drei Wochen lang gesperrt.«
    Keskitalo schenkte sich das Glas halb voll Gin.
    »Sie blieben drei Wochen in einem kleinen abgelegenen Dorf stecken.«
    Keskitalo stellte die Ginflasche zurück in den Kühlschrank. Katharine überlegte, wie lange die Flasche wohl im Kalten

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