Gottes kleiner Finger - [Thriller]
würde.
15
Katharine Henshaw erwachte mit dem unangenehmen Gefühl, dass nicht alles so war, wie es sein sollte. Sie öffnete die Augen und sah im Halbdunkel die Zimmerdecke und dort die langsam rotierende Klimaanlage. Sie hörte das ruhige Geräusch der Ventilatorflügel. Whusch-whusch-whusch-whusch-whusch. Kein anderes Geräusch war zu hören. Wovon war sie also aufgewacht?
Katharine stand auf und trat ans Fenster, ohne sich anzuziehen. Da im Zimmer kein Licht brannte, würde niemand sie von außen sehen können.
Alles wirkte ruhig. Die Außenbeleuchtung brannte normal. Nirgends war ein Mensch zu sehen. Alles war still und tot. Katharine wollte schon ins Bett zurückkehren, als sie plötzlich verstand, was sie beunruhigte. Die Erkenntnis durchfuhr sie wie ein elektrischer Schlag und klärte im Bruchteil einer Sekunde ihre Gedanken.
Auf der Baustelle war es allzu still und ruhig. Eine Baustelle mit tausend Menschen schlief niemals. In all den früheren Nächten waren von draußen verschiedene Geräusche zu hören gewesen. Die Stimmen der Männer, manchmal lautstarke Wortwechsel oder Gesang. Ab und zu war jemand mit einem Motorrad oder einem Auto angekommen oder weggefahren, sodass die Lichter im Dunkeln geblinkt hatten. Katharine hatte registriert, dass trotz des offiziellen Verbots jede Nacht außer Freundinnen und Ehefrauen auch Prostituierte auf die Baustelle gekommen waren. Immer, wenn sie selbst unruhig in der Nacht erwacht war, nicht wieder einschlafen konnte und eine Zigarette rauchen ging, waren draußen auch andere Menschen mit ihrer Zigarette oder einem Bier gewesen.
Aber jetzt – keine Menschenseele. Nirgends. Das kam ihr Unheil verkündend, ja, bedrohlich vor. Vor allem: Wie war das möglich?
Katharine zog sich rasch Unterwäsche, Jeans und eine schwarze Polobluse an, denn die Temperatur lag noch unter zehn Grad. Dann machte sie sich eilig auf den Weg zu dem Gebäude, in dem die Angehörigen der Sicherheitstruppen untergebracht waren.
Als Katharine hinaustrat, erschauerte sie ein wenig, als die kühle Luft ihr entgegenschlug. Brrr, dachte sie, ich hätte mich bestimmt wärmer anziehen sollen. Sie blickte zu den Lichtern hinauf, die an der Spitze des Sonnenturms brannten. Warum hatte der Wachmann auf dem Turm nicht mitgeteilt, dass die Ägypter weggefahren waren?, fragte sie sich verwundert.
Katharine ging auf die Baustellenbaracken zu. Die Außenbeleuchtung brannte zwar normal, aber in ihrer Nähe war noch immer kein Mensch zu sehen. Das war wirklich seltsam. Als sie sich den Baracken näherte, verlangsamte sie ihre Schritte, denn die Stille, die sie umgab, machte ihr Angst, sie war nahezu gespenstisch. Die letzten Schritte schlich sie geradezu.
An der Tür der ersten Baracke blieb Katharine stehen, um zu horchen. Von drinnen war nichts zu hören. Kein Husten, kein Schnarchen, kein schweres Atmen eines schlafenden Menschen. Nichts. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spaltbreit. Drinnen war es dunkel, und Katharine wartete einen Augenblick, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann trat sie ein und schlich zu den ersten Etagenbetten. Sie waren leer.
Von irgendwo weit her, von jenseits der Hügel, schien plötzlich Licht auf. Das Licht wurde heller, und Katharine meinte, auch fernes Motorengeräusch zu hören. Sie wusste, dass das motorisierte Bataillon der ägyptischen Armee, das die Baustelle bewachte, sein Hauptquartier genau in dieser Richtung hatte. Sie hatten also auch bemerkt, dass etwas Ungewöhnliches passiert war. Das war eine gute Nachricht!
Katharine ging zum anderen Ende der Baracke. Alle sechzig Etagenbetten waren leer. Die Mitarbeiter hatten sich in der Nacht ohne Ankündigung entfernt. Waren sie freiwillig gegangen, oder hatte jemand sie dazu gezwungen? Mit einem Schaudern begriff Katharine, dass die Personen, die die Arbeiter vertrieben hatten, immer noch anwesend sein konnten.
Katharine schlich zur Tür der zweiten Baracke und spähte hinein. Auch sie war leer. Sie machte sich nicht die Mühe, auch noch die sechs anderen Baracken zu überprüfen, sondern begann in Richtung Kontrollraum zu rennen. Ihr war klar, dass hier etwas nicht stimmte.
Als Katharine im Kontrollraum ankam, war dort niemand. Nur die Außenbeleuchtung brannte. Auch das war ungewöhnlich, denn der Kontrollraum hätte besetzt sein müssen.
Katharine trat ein und stolperte sofort über ein Hindernis, das vor der Schwelle lag. Als sie im Dunkeln nach dem tastete, was sie zu Fall
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