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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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wenig wie Sie.«
    »Nein.«
    Süden stellte sich ihr in den Weg.
    »Nein?«, sagte er. »Also erwartet Ihr Mann, dass seine Tochter ihm gehorcht. Sie ist also doch wegen ihm weggegangen.«
    »Sie ist weggegangen…«, sagte Margit de Vries, überlegte, machte einen Schritt auf die Fahrbahn und ging an Süden vorbei, unbeeindruckt von einem hupenden Autofahrer, der sie, der Lautstärke nach zu urteilen, mit der er hupte, beinah überfahren hätte. Sie wartete, bis der Kommissar neben ihr auftauchte. »Sie ist weggegangen, weil sie ungezogen ist. Man läuft nicht von zu Hause weg, man schleicht sich nicht bei Nacht und Nebel aus dem Haus und brüskiert die Eltern. Solange sie bei uns wohnt und wir für sie bezahlen, hat sie sich so zu benehmen, wie es sich gehört. Glauben Sie, meinem Mann macht das Spaß, zur Polizei zu gehen, glauben Sie, das ist gut fürs Geschäft, wenn die Kunden ihn morgen im Laden darauf ansprechen, dass sie das Bild unserer Tochter im Fernsehen gesehen haben und überhaupt nicht verstehen können, wieso sie das getan hat? Unserer Tochter fehlt es an nichts, sie bekommt Taschengeld, sie hat allen Freiraum, den sie braucht, sie darf ihre Freunde treffen, wann sie will, sie darf alles. Sie hat keinen Grund wegzulaufen.«
    »Schicken Sie die Journalistin weg«, sagte Süden.
    »Das ist Sache meines Mannes«, sagte sie.
    Er wusste, de Vries würde Nicole Sorek nicht wegschicken, sondern sich interviewen lassen, er würde ein Foto seiner Tochter vorzeigen und der Reporterin erlauben, in Julikas Zimmer zu filmen. Und Süden wusste nicht, warum Wolf de Vries so handelte, ganz gleich, wie autoritär er sein mochte, er musste doch begreifen, welchen Aufruhr er mit einem Fernsehauftritt zu einem so frühen Zeitpunkt auslöste. Warum nahm er in Kauf, seine Tochter derart herauszufordern? Wie würde Julika reagieren, wenn sie den Bericht sah? Würde sie sich verunsichern lassen? Oder würde sie. zu einer öffentlichen, bundesweit gesuchten Person geworden, in Panik geraten und erst recht fliehen? Obwohl sie bisher, vielleicht, nur ausreißen wollte?
    Von Kindern, die abhauten, weil sie bei ihren Eltern jedes Verständnis vermissten und keines mehr erwarteten und sich in einen allmächtigen Zorn und Selbsthass hineinmanövriert hatten, wusste man, dass sie, durch Fotos in der Presse in die Enge getrieben, zum Selbstmord fähig waren. Vor etwa zehn Jahren hatten Süden und seine Kollegen geglaubt, keine andere Wahl zu haben, und das Bild eines Jungen veröffentlicht, der seit zwei Monaten verschwunden war, ausgerissen nach unaufhörlichen Querelen mit seinem Stiefvater, nach mehreren Sitzungen bei einer Therapeutin. Einen Tag, nachdem das Foto erschienen war, erhängte sich der Junge im Wald. Sein Bild, das der Zwölfjährige aus einer Zeitung herausgerissen hatte, fand Süden in dessen Hosentasche.
    Süden sah Margit de Vries hinterher, wie sie mit ihrem Einkaufsbeutel um eine Hausecke verschwand, eine unauffällige Frau, die von einem Mann erwartet wurde, der es nicht ertrug verlassen zu werden und anstatt zu weinen seine Augen verkaufte.

5
    N achdem Volker Thon Südens Bericht gelesen hatte, rief er Wolf de Vries an und bat ihn, auf das Interview mit der Reporterin zu verzichten. Die Sendung würde unnötig Aufsehen erregen und weitere Journalisten anlocken, was bedeutete, dass diese auch in Julikas Schule auftauchen und damit beginnen würden, Spekulationen in die Welt zu setzen, die die Fahndung erschwerten und behinderten.
    » Sie machen Ihre Arbeit, ich tue, was ich für richtig halte«, sagte de Vries.
    »Haben Sie kein Vertrauen in unsere Arbeit?«
    »Ich will meine Tochter so schnell wie möglich wiederhaben«, sagte er. »Und das Fernsehen arbeitet schneller als die Polizei.«
    »Angenommen«, sagte Thon, »wir finden Ihre Tochter, und sie verlangt von uns ihren Aufenthaltsort geheim zu halten, müssen wir das respektieren. Und das werden wir auch tun, wir werden mit ihr reden, wir werden versuchen sie umzustimmen, allerdings…«
    »Das genau ist der Grund, warum ich mich einmische«, sagte de Vries. »Frau Sorek und ihr Team werden mir den Aufenthaltsort meiner Tochter nennen, wenn sie sie gefunden haben, und dann fahre ich hin und hole sie. Und Sie können mich nicht daran hindern.«
    »Was sagt Ihre Frau dazu?«
    »Sie ist einverstanden.«
    »Kann ich mit ihr sprechen?«
    »Sie hat sich hingelegt«, sagte de Vries, »sie ist erschöpft, sie hat eine Tablette genommen. Glauben Sie mir, sie will

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