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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Ermittlungen nicht im Weg, Kollege!«, sagte Halberstett und streckte den Zeigefinger. »Hören Sie auf, hier Wind zu machen, wir haben selber genügend Wind hier, aus allen Himmelsrichtungen. Halten Sie sich bitte raus, Sie haben keine Befugnisse! Und jetzt…«
    Das Telefon klingelte. Kellerfink nahm den Hörer ab.
    »Sie sollen sich im Hotel melden«, sagte er zu Süden, nachdem er das Gespräch beendet hatte.
    »Danke für Ihr Kommen, Kollege, haben Sie eine gute Fahrt und grüßen Sie mir das schöne Bayernland.« Halberstett gab ihm die Hand. Süden verabschiedete sich.
    »Danke für die Akteneinsicht«, sagte er.
    »Das ist selbstverständlich«, sagte Halberstett. Süden drückte auch Kellerfink und Bach die Hand. Militärisch trat der junge Polizist einen Schritt zur Seite und öffnete gleichzeitig die Tür. Anscheinend glaubten sie tatsächlich, er würde abreisen.
    »Du musst deine Rückfahrt ein paar Stunden verschieben«, sagte Thon am Telefon. Süden sagte: »Ich reise sowieso nicht ab.«
    Eine alte Frau in einem schmutzigen Pelzmantel und mit zwei Plastiktüten in der einen und einem ausgefransten gelben Regenschirm in der anderen Hand blieb neben der Telefonsäule stehen.
    »Ich hab alles mit den Kollegen vor Ort besprochen«, sagte Thon. »Sie bearbeiten die Mordsache und schließen den Fall Julika dann ab. Ich brauch dich hier, wir haben vier neue Vermissungen, davon zwei Jugendliche, die uns große Sorgen bereiten. Bevor du in den Zug steigst, musst du aber noch Julikas Eltern treffen. Die sind heut früh auf dem Flughafen in… in Laage gelandet…«
    »Was?«, sagte Süden.
    Die alte Frau betrachtete ihn. Ihr Gesicht war übersät von Furchen und Furunkeln.
    »Der Mann hat mich genervt«, sagte Thon. »Und die Frau tut mir Leid. Ich hab nicht damit gerechnet, dass die gleich ins Flugzeug steigen. Ich hab dem Vater gesagt, wo du bist, und er soll sich nicht aufregen…«
    »Ich werde sie nicht treffen.«
    »Du musst. Sonja hat mir gesagt, in welchem Hotel du wohnst, sie werden dort sein, wenn du hinkommst.«
    Süden wusste, dass sie dort waren. Nach dem Verlassen der Inspektion hatte er im Hotel angerufen, und der Portier hatte ihm ausgerichtet, er solle sich dringend mit seinem Dezernat in Verbindung setzen. Außerdem hätten zwei Herrschaften nach ihm gefragt, die in der Halle auf ihn warteten.
    »Nein«, sagte Süden.
    »Mir ist das auch unangenehm, wer konnte ahnen, dass dieser Mann so reagiert? Ich finde, er hat ein Recht darauf zu erfahren, wie sehr wir uns um seine Tochter bemühen…«
    Die alte Frau hob die Hand, in der sie die Plastiktüten hielt, führte sie zum Mund und drückte zwei Finger an die Lippen. Offenbar wollte sie eine Zigarette schnorren.
    »Ich rauche nicht«, sagte Süden.
    »Bitte?«, sagte Thon. Die alte Frau ließ die Schultern hängen.
    »Hat er die Reporterin mitgebracht?«, fragte Süden.
    »Nein«, sagte Thon.
    »Bist du sicher?«
    »Ich bin nicht sicher«, sagte Thon wütend. »Red mit ihnen, und dann setz dich in den Zug. Von mir aus schick sie zu den Kollegen vor Ort. Wir haben wichtigere Fälle. Die Mutter tut mir wirklich Leid, versuch sie zu beruhigen. Sonja hat mir erzählt, du hattest ein offenes Gespräch mit Julika. Wann kommt sie zurück?«
    »Ich spreche mit den Eltern«, sagte Süden.
    »Bring sie dazu, vernünftig zu handeln«, sagte Thon ins Nichts. Süden hatte bereits eingehängt und holte einen Fünfeuroschein aus der Tasche. Die alte Frau schüttelte den Kopf.
    »Nehmen Sie das Geld«, sagte Süden.
    »Ich will Zigaretten«, nuschelte sie. »Ohne Zigaretten geh ich ein.«
    Süden steckte ihr den Schein in die Manteltasche, die voller Papierfetzen war.
    »Haben Sie Halloren für mich?«, fragte sie.
    »Was habe ich?«
    »Halloren.«
    »Was ist das?«
    »Keine Zigaretten, keine Halloren, Scheißleben.« Sie trippelte davon. Süden sah, dass sie knöchelhohe Lederstiefel trug, einen braunen und einen schwarzen, beide mit weißen Leuchtstreifen an den Fersen.
    Was hätte er der Frau in dem cremefarbenen Hosenanzug sagen sollen, die auf der Bank unter dem Spiegel saß, blass und schmal, voller Worte, die wie Geschwüre in ihr wucherten, zu tief, um von ihr selbst oder jemand anderem geheilt zu werden? Unheilbar schweigenskrank hörte sie zu. Manchmal nickte sie, als lindere die Litanei, die sie sich anhören musste, ihren Schmerz, an den sie sich vielleicht gewöhnt hatte wie an die Stimme, die sie einschnürte, ohne dass sie es bemerkte. Was hätte

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