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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sagen: Hier sind fünfhundert Euro, die sind für dich. Sie wollte sagen: Mehr hab ich nicht. Sie sagte:
    »Hier…«
    Er war schon fort. Eine Tür schlug zu. Keine Schritte mehr. Eiseskälte im Angesicht des Herrn. Sie war nicht gläubig. Mit den Geldscheinen in der Hand wischte sie sich übers Gesicht. Sie drehte sich um und blickte zur Tür. So still war es schon lange nicht mehr um sie gewesen.
    Marlen steckte das Geld ins Buch zurück und stand auf. Sie hielt die Tasche mit beiden Händen vor den Bauch und erschrak für eine Sekunde. Die Taube hatte sich bewegt, und ihr lahmer Flügel klopfte auf den Steinboden, sie hob den zerzausten Kopf, als halte sie nach einem Retter Ausschau.
    Marlen schloss die Augen und begann, wie ein Gebet, ein Gedicht zu murmeln, das sie ihrem Sohn wieder und wieder vorgelesen hatte, als er noch nicht lesen und schreiben konnte, und auch später, wenn er krank oder es Sonntagnachmittag war und sie lieber für sich blieben, als unter die Leute zu gehen. Immer hatte Rico bis zum Schluss zugehört, auch wenn die Poesie eine ferne Welt für ihn war.
    »Da ich ein Knabe war«, flüsterte sie mit geschlossenen Augen, die Tasche gegen den Bauch gepresst.
    »… Rettet ein Gott mich oft Vom Geschrei und der Rute der Menschen, Da spielt ich sicher und gut Mit den Blumen des Hains, Und die Lüftchen des Himmels Spielten mit mir. Und wie du das Herz Der Pflanzen erfreust, Wenn sie entgegen dir Die zarten Arme strecken, So hast du mein Herz erfreut, Vater Helios! und, wie Endymion, War ich dein Liebling, Heilige Luna!
    O all ihr treuen Freundlichen Götter!
    Dass ihr wüsstet, Wie euch meine Seele geliebt!«
    Sie öffnete die Augen, und ihr Blick ruhte auf dem reglosen dunklen Federding vor den Altarstufen.
    »Zwar damals rief ich noch nicht Euch mit Namen, auch ihr Nanntet mich nie, wie die Menschen sich nennen, Als kennten sie sich. Doch kannt ich euch besser, Als ich je die Menschen gekannt, Ich verstand die Stille des Aethers, Der Menschen Worte verstand ich nie.
    Mich erzog der Wohllaut Des säuselnden Hains, Und lieben lernt ich Unter den Blumen.«
    Sie sank auf die Knie. Und als sie kniete, eine Weile, kippte ihr Oberkörper wie von einer Mechanik angetrieben nach vorn und sie konnte gerade noch die Tasche loslassen und sich mit den Händen abstützen, bevor sie mit dem Gesicht auf dem kalten Boden aufschlug.
    Mit angewinkelten Beinen lag sie da, die Wange auf dem Stein. Und sie sah die zitternde Taube und hauchte wie mit Vogelatem:
    »Im Arme der Götter wuchs ich groß.«
    Sie hatten sie fallen lassen, dachte sie, die Götter hatten sie fallen lassen, Rico und sie, schon vor langer Zeit, sie hatten es nur nicht bemerkt, Rico und sie, verzaubert vom Wohllaut des säuselnden Hains. Doch die Zauberzeit war lange um. Nimmerklug hatte Sonnenstadt in Wirklichkeit nie erreicht.

27
    » H at sich Rico bei Ihnen gemeldet?«, fragte Süden am Telefon. Marlen Keel zögerte nicht. »Nein.« Süden sagte nichts darauf.
    »Hallo?«, sagte Marlen.
    »Wenn er sich melden würde«, sagte Süden. »Was würden Sie ihm raten?«
    »Ich würde ihm zuhören.«
    »Und danach?«
    »Waren Sie bei der Polizei?«
    »Ja«, sagte Süden. »Sie suchen Rico als Zeugen, und Julika auch.«
    »Was noch?«
    »Ich komme später zu Ihnen, dann sprechen wir.«
    »Glaubt die Polizei, dass Rico Steffen umgebracht hat?« Den Hörer am Ohr, öffnete sie die Tür zu Ricos Zimmer, in dem immer noch das Klappbett stand, die Decken waren auf den Boden gerutscht, und es roch anders als früher.
    »Ricos ehemalige Freundin Rosa«, sagte Süden. »Wo haben sich die beiden getroffen, wenn sie nicht bei ihr sein konnten wegen ihrer Eltern. Wo haben sie die Nächte verbracht?«
    »Geht Sie das was an?« Um zum Fenster zu gelangen, reichte die Schnur nicht.
    »Ich glaube schon«, sagte Süden. Marlen hörte Straßengeräusche im Hintergrund.
    »Von wo rufen Sie an?«
    »Von einer Telefonzelle.«
    »Haben Sie kein Handy?«, fragte Marlen.
    »Nein. Wo arbeitet Rosa?«
    Sie nannte ihm die Adresse des Geschäfts. »Und jetzt sagen Sie mir genau, was die Polizei weiß, Sie haben es mir versprochen.«
    »Ich komme später zu Ihnen.«
    »Das dürfen Sie nicht tun, mich anlügen«, sagte sie und wandte sich um. In der Küche lagen ihr Mantel über dem Stuhl und ihre Tasche auf dem Tisch, sie war gerade nach Hause gekommen, als das Telefon geklingelt hatte. Sie war sich sicher gewesen, Rico sei dran.
    »Hat sich Ihr Sohn bei Ihnen gemeldet?«,

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