Gottes Werk und Teufels Beitrag
Gehilfe des Bahnhofsvorstehers war ein junger Mann, der sich für seinen besonders unliebenswürdigen Diensteifer den Diensteifer des Bahnhofsvorstehers zum Vorbild genommen hatte, so daß er bei aller Jugendlichkeit eine völlig inadäquate alt-knackerige, weinerliche und schäbige Art hatte – und obendrein noch die Bosheit eines Hundefängers, dem seine Arbeit Spaß macht. Er war ein einfältiger junger Mann, der mit dem Bahnhofsvorsteher das tyrannische Auftreten gemein hatte: er brüllte die Kinder an, gefälligst ihre Füße von den Sitzbänken zu nehmen, lächelte aber jeden blödsinnig an, der besser gekleidet war als er, und duldete jede Grobheit von Leuten, die ihm nur irgend etwas voraushatten. Ausnahmslos kalt und überlegen gab er sich gegenüber den Frauen, die aus dem Zug stiegen und nach dem Weg zum Waisenhaus fragten, und nicht ein Mal hatte er einer dieser Frauen den Arm gereicht oder seine Hilfe angeboten, wenn sie die Stufen des Zuges zur Heimfahrt hinaufstiegen; und die erste Stufe war hoch – viele der Frauen, die ausgeschabt worden waren, hatten offensichtliche Schwierigkeiten mit dieser ersten Stufe.
An diesem Morgen war der Bahnhofsvorstehergehilfe besonders tapfer und unliebenswürdig aufgelegt. Er hatte einem der Lümmel fünfzehn Cent gegeben, er solle zum Haus des Bahnhofsvorstehers laufen und ihn holen, aber der Trampel war nur mit der Nachricht zurückgekehrt, daß das Fahrrad des Bahnhofsvorstehers umgefallen und liegengeblieben sei, wo es hingestürzt war. Unheilvoll, dachte der Gehilfe, aber frustrierend. Halb war er verärgert, weil er die Aufgaben des Bahnhofsvorstehers erfüllen mußte, die er schlecht erfüllte, halb war er erregt bei der Aussicht, das Kommando zu übernehmen. Als er diese beiden verschmutzten Wichte aus dem Waisenhaus die Hauptstraße vor dem Bahnhof überqueren und herankommen sah, fühlte der Gehilfe des Bahnhofsvorstehers seine Autorität aufschwellen. Curly Day, der sich mit dem einen Arm die Nase wischte und mit dem anderen David Copperfield nachschleifte, machte schon den Mund auf, um zu sprechen, doch der Bahnhofsvorstehergehilfe kam ihm zuvor.
»Macht, daß ihr wegkommt«, sagte er. »Ihr gehört hier nicht hin.«
Curly blieb stehen; Klein Copperfield prallte gegen ihn und wankte unter der Plötzlichkeit des Zusammenpralls. Curly wollte gern glauben, daß er nirgends »hingehörte«, aber er kratzte sein Selbstvertrauen zusammen und übermittelte seine einstudierte Botschaft: »Der Bahnhofsvorsteher ist tot! Doktor Larch sagt, er hatte seit einigen Stunden einen Herzanfall! Sagen Sie den Verwandten und Bekannten, daß bald ein Automobil vorgenommen wird!«
Sogar die Lümmel merkten auf. Der Gehilfe wurde von einer Flut plötzlicher und widersprüchlicher Gefühle überwältigt: daß der Bahnhofsvorsteher tot war, konnte heißen, daß er, der Gehilfe, der nächste Bahnhofsvorsteher werden würde; daß jemand möglicherweise einen einige Stunden andauernden Herzanfall erlitt, war eine unvorstellbar schmerzliche Vorstellung; und was war das für eine Verheißung – oder Drohung – von einem Automobil?
Welche Verwandten, welche Freunde? fragten sich die beiden Lümmel.
»Was ist das für ein Automobil?« fragte der Gehilfe Curly Day. Curly fürchtete, daß er einen Fehler gemacht hatte, beschloß aber, sich durchzubluffen. Es war nicht ratsam, vor einem Tyrannen Schwäche oder Unentschlossenheit zu zeigen, und Curlys listige Überlebensinstinkte ließen ihn Selbstvertrauen über die Wahrheit stellen.
»Es bedeutet, daß ein Auto kommt wegen ihm«, sagte Curly Day. Die beiden Lümmel gafften milde beeindruckt; sie hatten nicht gedacht, daß der Bahnhofsvorsteher wichtig genug sei, um von einem Auto abgeholt zu werden.
»Du meinst einen Leichenwagen?« fragte der Gehilfe. Es gab einen Leichenwagen in Three Mile Falls – er hatte ihn einmal gesehen: ein langes schwarzes Auto, das so langsam fuhr, als würde es von Maultieren gezogen.
»Ich meine ein Auto«, sagte Curly Day, dem das Wort »Leichenwagen« gar nichts sagte. »Ich meine ein Automobil.«
Keiner rührte sich, keiner sprach; vielleicht setzten bei ihnen allen die Symptome eines besonderen Herzanfalls ein, der angeblich einige Stunden andauerte. Alle warteten sie ganz einfach auf das nächste Ereignis dieses Tages, als Senior Worthingtons austernweißer Cadillac langsam in Sicht kam.
In den vielen armen und einsamen Städtchen, durch die sie gerollt waren, hatten Wally und Candy mehr
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