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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zuschaust«, sagte Wilbur Larch, auf das Kratzen seiner Kürette horchend; seine Atmung war flach, aber regelmäßig.
    »Ich finde«, sagte Dr. Larch, »du solltest beteiligt sein bis zu dem Grad, daß du zuschaust, daß du eine gewisse amateurhafte Hilfe leistest, daß du den Vorgang verstehst, daß du ihn auszuführen lernst – ganz egal, ob du dich dereinst dafür entscheidest, ihn auszuführen oder nicht. Greife ich denn ein, wenn absolut hilflose Frauen mir sagen, daß sie einfach keine Abtreibung ertragen können, daß sie einfach durchhalten müssen, um noch ein – und noch ein weiteres – Waisenkind zu bekommen: Greife ich ein? Tue ich das? Ich tu’s nicht«, sagte er, während er schabte. »Ich hole es auf die Welt, gottverdammt. Und glaubst du, es gibt eine überwiegend glückliche Geschichte für die Babys, die hier auf die Welt kommen? Glaubst du, die Zukunft dieser Waisen ist rosig? Glaubst du das? Du glaubst es nicht«, sagte Larch. »Aber sträube ich mich? Ich tu es nicht. Ich empfehle nicht einmal. Ich gebe ihnen, was sie wollen: eine Waise oder eine Abtreibung«, sagte Larch.
    »Nun, ich bin Waise«, sagte Homer Wells.
    »Fordere ich, daß wir die gleichen Gedanken haben? Ich tu es nicht«, sagte Larch.
    »Sie wünschen es sich«, sagte Homer Wells.
    »Den Frauen, die zu mir kommen, ist mit Wünschen nicht geholfen«, sagte Wilbur Larch. Er legte die mittelgroße Kürette beiseite und streckte die Hand nach einer kleineren aus, die Homer Wells für ihn bereithielt und ihm automatisch reichte.
    »Ich will mich ja nützlich machen«, fing Homer an, aber Larch wollte nicht zuhören.
    »Dann darfst du dich nicht verstecken«, sagte Larch. »Dann darfst du den Blick nicht abwenden. Du selbst hast mir ganz richtig gesagt, daß du, wenn du dich nützlich machen wolltest, wenn du überhaupt beteiligt sein wolltest, alles wissen müßtest. Ich dürfe dir nichts vorenthalten. Ich habe das von dir gelernt! Nun, du hast recht«, sagte Larch. »Du hattest recht«, fügte er hinzu.
    »Es ist lebendig«, sagte Homer Wells. »Das ist der springende Punkt.«
    »Du bist in einen Prozeß einbezogen«, sagte Dr. Larch. »Eine Geburt, bei richtiger Gelegenheit, und bei anderer Gelegenheit ein Abbruch. Deine Mißbilligung wird zur Kenntnis genommen. Sie ist legitim. Es steht dir frei, zu mißbilligen. Aber es steht dir nicht frei, unwissend zu sein, den Blick abzuwenden, unfähig zu sein, es auszuführen – solltest du je deine Meinung ändern.«
    »Ich werde meine Meinung nicht ändern«, sagte Homer Wells.
    »Also gut«, sagte Dr. Larch, »solltest du, gegen deinen Willen, doch, zum Beispiel, um das Leben der Mutter zu retten … solltest du es also je ausführen müssen …«
    »Ich bin kein Arzt«, sagte Homer Wells.
    »Du bist kein fertiger Dr. med.«, sagte Dr. Larch, »und du könntest noch einmal zehn weitere Jahre bei mir lernen, und immer noch wärst du nicht fertig. Aber in bezug auf alle bekannten Komplikationen, die im Bereich der weiblichen Fortpflanzungsorgane auftreten, in bezug auf diese Organe – kannst du ein fertiger Chirurg sein. Punktum. Du bist bereits tüchtiger als die tüchtigste Hebamme, verdammt noch mal«, sagte Wilbur Larch.
    Homer hatte das Herausziehen der kleinen Kürette vorhergesehen; er reichte Larch die erste von mehreren sterilen Schambinden.
    »Ich werde dich nie zu etwas zwingen, was du mißbilligst, Homer«, sagte Dr. Larch. »Aber du wirst zuschauen, du sollst wissen, wie man es macht, was ich mache. Wozu wäre ich sonst gut?« fragte er. »Sind wir nicht auf diese Erde gestellt, um zu arbeiten? Zumindest um zu lernen, zumindest um zuzuschauen? Was, glaubst du, heißt es, sich nützlich zu machen?« fragte er. »Möchtest du in Ruhe gelassen werden? Glaubst du, ich sollte zulassen, daß du eine Melony wirst?«
    »Warum lehren Sie nicht sie, wie man es macht?« fragte Homer Wells Dr. Larch.
    Welch eine Frage, dachte Schwester Angela, aber der Kopf der Frau bewegte sich etwas in Schwester Angelas Händen; die Frau stöhnte, und Schwester Angela brachte ihre Lippen an das Ohr der Frau. »Es geht Ihnen sehr gut, meine Liebe«, flüsterte sie. »Jetzt ist alles vorbei. Ruhen Sie sich einfach aus.«
    »Du verstehst doch, was ich meine, Homer?« fragte Dr. Larch.
    »Richtig«, sagte Homer.
    »Aber du stimmst nicht zu, oder?« fragte Larch.
    »Wiederum richtig«, sagte Homer Wells.
    Du verdammt mürrischer ichbezogener selbstmitleidiger arroganter unerfahrener nichtswissender

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