Gottes Werk und Teufels Beitrag
mitnehmen. Er drückte Curly Days nasses Gesicht an seine Brust; er schloß die Augen und sah diese Flecken, die er regelmäßig sah, wenn er Äther inhalierte, nur daß diese Flecken ihn unsanft an die Fleckenbildung erinnerten, die ihm von den vielen kontrollierenden Blicken auf die sterilen Schambinden vertraut war.
Er sah Curly Day an und fragte sich, ob Curly jemals adoptiert werden würde oder ob Curly in Gefahr sei, ein neuer Homer Wells zu werden.
Schwester Angela zögerte vor der Tür zum Duschraum der Knaben; sie lauschte auf Dr. Larch, der Curly tröstete. Sie machte sich mehr Sorgen um Dr. Larch als um Curly; eine Art hartnäckiger Stichelei hatte sich zwischen Dr. Larch und Homer Wells entwickelt, wie Schwester Angela sie nie bei zwei Menschen erwartet hätte, die einander so eindeutig liebten und brauchten. Es schmerzte sie, daß sie nicht vermitteln konnte. Sie hörte, wie Schwester Edna nach ihr rief, und war dankbar für die Unterbrechung; sie beschloß, daß es leichter wäre, mit Homer zu sprechen als mit Dr. Larch; doch was zu jedem von ihnen zu sagen wäre, beschloß sie noch nicht.
Homer beobachtete, wie die zweite Abtreibungspatientin aus der Äthernarkose auftauchte; er verlegte sie vom Operationstisch auf eine Liege; er klappte die Sicherheitsgitter hoch, für den Fall, daß die Frau taumelig wäre. Er warf einen Blick in den Nebenraum und sah, daß die erste Abtreibungspatientin bereits aufrecht dasaß, doch er befand, daß beide Frauen wohl lieber einen Augenblick allein wären, und darum ließ er die zweite Patientin im Operationssaal. Es war ohnehin noch zu früh für die Entbindung der Frau aus Damariscotta. Das winzige Spital kam ihm besonders gedrängt und übervölkert vor, und er sehnte sich nach einem eigenen Zimmer. Zuerst aber, das wußte er, mußte er sich dafür entschuldigen, daß er Dr. Larch weh getan hatte – das alles war ihm einfach entschlüpft, und er hätte weinen mögen, wenn er daran dachte, daß er Dr. Larch irgendwie verletzt hatte. Er ging geradewegs über den Flur zur Apotheke, wo er – wie er glaubte – Dr. Larchs Füße über das Fußende des Spitalbettes ragen sah; die Medizinschränke aus der Apotheke versperrten den Blick auf den Rest des Bettes. Er sprach zu Dr. Larchs Füßen, die zu Homers Überraschung größer waren, als er sie in Erinnerung hatte; er war auch überrascht, daß Dr. Larch – ein ordentlicher Mann – seine Schuhe angelassen hatte und daß seine Schuhe schlammig waren.
»Dr. Larch?« sagte Homer. »Es tut mir leid.« Als keine Antwort kam, dachte sich Homer ärgerlich, daß Dr. Larch unter einer zeitlich ungemein schlecht abgestimmten Äthernarkose stünde.
»Es tut mir leid, und ich liebe Sie«, fügte Homer, ein wenig lauter, hinzu. Er hielt den Atem an und lauschte auf Larchs Atemzüge, die er nicht hören konnte; beunruhigt ging er um die Schränke herum und sah den leblosen Bahnhofsvorsteher ausgestreckt auf Larchs Bett liegen. Es kam Homer nicht in den Sinn, daß dies vermutlich das erste Mal war, daß jemand zu dem Bahnhofsvorsteher gesagt hatte: »Ich liebe Sie.«
Schwester Angela und Schwester Edna hatten ihn nirgendwo sonst unterbringen können, nachdem sie ihn aus dem Operationssaal verlegen mußten. Es wäre grausam gewesen, ihn einer der Abtreibungspatientinnen zuzumuten oder ihn neben die künftige Mutter zu legen, und die Waisen wollten sie ebenfalls nicht erschrecken, indem sie den Bahnhofsvorsteher auf eines der Betten im Schlafsaal legten.
»Gottverdammt«, sagte Homer.
»Wie das?« fragte Larch. Er trug Curly Day auf den Armen und stand unter der Apothekentür.
»Nichts«, sagte Homer Wells. »Vergessen Sie es.«
»Curly hat einen sehr schlimmen Tag gehabt«, erklärte Dr. Larch.
»Wie schade, Curly«, sagte Homer.
»Jemand ist gekommen, um jemand zu adoptieren«, sagte Curly. »Sie kommen einkaufen, irgendwie.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Dr. Larch.
»Sag ihnen, ich bin der Beste, okay, Homer?« bat Curly.
»Richtig«, sagte Homer Wells. »Du bist der Beste.«
»Wilbur!« rief Schwester Edna eben. Sie und Schwester Angela schwatzten an der Spitalpforte.
Sie schlenderten hinaus, um zu sehen, was los sei: der Doktor, sein unwilliger Lehrling und die zweitälteste Waise in der Knabenabteilung.
Um den Cadillac hatte sich ein kleiner, aber geschäftiger Menschenauflauf gebildet. Der Kofferraum war offen, und der hübsche junge Mann verteilte Geschenke an die Waisen.
»Tut mir leid, daß keine
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