Gottes Werk und Teufels Beitrag
Gesichtsausdruck hatte sie gelähmt (weil er ihren eigenen Gesichtsausdruck fast exakt widerspiegelte).
Wer sind die zwei Hübschen da? fragte sie sich. Was ’n Auto, dachte sie. Sie hatte ihre Gesichter nicht gesehen, aber schon ihre Hinterköpfe verursachten ihr Unbehagen. Das blonde Haar des Mannes bildete einen so perfekten Kontrast zu seinem glatten, gebräunten Nacken, daß es sie kalt überlief. Und wie konnte der Hinterkopf des Mädchens so perfekt sein – das Fallen und Schwingen ihres Haars so akkurat? Gab es einen Trick, um die Länge des Haars so genau auf die geraden, doch schmalen Schultern des Mädchens abzustimmen? Und wie anmutig sie Klein Copperfield hochgehoben hatte und auf ihrem Schoß hielt – diese kleine Kröte, dachte Melony. Das Wort »Kröte« mußte sie laut gesprochen haben, denn ihr Atem beschlug in diesem Moment das Fenster; sie verlor ihren eigenen Mund und ihre Nase aus dem Blick. Als das Fenster wieder blank wurde, sah sie das Auto weiterfahren, zum Eingang des Spitals. Leute wie diese sind zu perfekt, um eine Abtreibung zu brauchen, stellte Melony sich vor. Sie sind zu perfekt, um zu ficken, dachte sie verbittert. Sie sind zu rein, um es zu tun. Das hübsche Mädchen wundert sich, warum sie nicht schwanger werden kann. Sie weiß nicht, daß man zuerst ficken muß. Sie überlegen sich, jemand zu adoptieren, aber hier werden sie niemand finden. Da ist keiner, der gut genug ist für sie, dachte Melony – und haßte sie. Sie spuckte direkt in ihr eigenes stumpfsinniges Spiegelbild und beobachtete, wie die Spucke über die Scheibe hinabfloß. Sie hatte nicht die Energie, sich zu bewegen. Es gab mal eine Zeit, dachte sie, da wäre ich wenigstens hinausgegangen und hätte am Cadillac herumgeschnüffelt. Vielleicht ließen sie etwas im Auto liegen – etwas, was man stehlen konnte. Jetzt aber konnte nicht einmal der Gedanke, etwas zu stehlen, Melony von ihrem Fenster fortbewegen.
Dr. Larch hatte mit Schwester Ednas Hilfe die erste Abtreibung durchgeführt; Larch hatte Homer gebeten, die Wehen der künftigen Mutter aus Damariscotta zu kontrollieren. Schwester Angela assistierte Larch bei der zweiten Abtreibung, doch Dr. Larch hatte auch auf Homers Anwesenheit bestanden. Er hatte Homers Äthernarkose überwacht; Dr. Larch hatte eine so leichte Hand mit dem Äther, daß die erste Abtreibungspatientin während der ganzen Operation mit Schwester Edna gesprochen hatte, und doch hatte die Frau nichts gespürt. Sie redete und redete: eine Art luftiger Litanei zusammenhangloser Sätze, auf die Schwester Edna mit Begeisterung reagierte.
Homer hatte die zweite Frau wegtauchen lassen, und er war sichtlich verärgert, weil er die Frau stärker narkotisiert hatte als vorgesehen. »Besser zuviel als zuwenig«, sagte Schwester Angela aufmunternd, während ihre sanften Hände unwillkürlich die bleichen Schläfen der Frau massierten. Larch hatte Homer gebeten, das Vaginalspekulum einzuführen, und Homer starrte jetzt düster auf die glänzende Cervix der Frau, auf die vorgewölbte Öffnung des Uterus. In durchsichtigen Schleim gebadet, hatte sie eine Aura von Morgennebel, von Tautropfen, von den rosa Wolken eines Sonnenaufgangs um sich versammelt. Hätte Wally Worthington durch das Spekulum gespäht, hätte er den Anblick eher mit einem Apfel in irgendeiner blassen, ätherischen Phase seiner Entwicklung verglichen. Was aber ist diese kleine Öffnung?, hätte er sich vielleicht gefragt.
»Wie sieht’s aus?« fragte Larch.
»Sieht gut aus«, sagte Homer Wells. Zu seiner Überraschung reichte Larch ihm den Cervix-Stabilisator – ein einfaches Instrument. Es war zum Greifen der oberen Lippe der Cervix und zum Stabilisieren der Cervix, die sodann in ihrer Tiefe sondiert und erweitert wurde.
»Haben Sie nicht kapiert, was ich Ihnen sagte?« fragte Homer Dr. Larch.
»Mißbilligst du es, die Cervix anzufassen, Homer?« fragte Larch. Homer griff nach der Cervixlippe der Frau und faßte sie korrekt. Ich werde keinen einzigen Dilatator anfassen, dachte er. Er wird mich nicht dazu bringen.
Aber Larch bat gar nicht darum. Er sagte: »Danke, das ist eine gewisse Hilfe.« Die Cervix sondierte und dehnte er selbst. Als er um die Kürette bat, reichte Homer sie ihm.
»Erinnern Sie sich, daß ich Sie fragte, ob es notwendig sei, daß ich auch nur dabei bin?« fragte Homer leise. »Ich sagte, wenn es Ihnen recht ist, würde ich lieber nicht zuschauen. Sie erinnern sich?«
»Es ist notwendig, daß du
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