Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Vorfahren. In anderen Teilen der Welt, muß ich leider sagen, stehen die Vorfahren einer Waise stets unter Verdacht.«
    Mom prügelte den Jungen so hart, wie nur je ein Mitglied der gescheiterten Familie aus Three Mile Falls ihn geprügelt hatte. Dann verbannte sie ihn für den Rest der Nacht in den Heizungskeller; wenigstens war es dort unten warm und trocken, und es gab ein Feldbett, das im Sommer bei Campingausflügen benützt wurde.
    Es gab auch eine Menge nasser Schuhe – darunter sogar ein Paar, das Homer gehörte. Einige der nassen Socken waren schon beinah trocken und paßten ihm. Das Angebot an feuchten Skianzügen und rustikalen Wanderklamotten bot Homer eine hinlängliche Auswahl. Er kleidete sich in warme Freizeitsachen, die größtenteils trocken waren. Er wußte, daß Mom und der Professor viel zu große Stücke auf ›die Familie‹ hielten, um ihn wegen bloßer Fummelei nach St. Cloud’s zurückzuschicken; wenn er zurückwollte, und das wollte er, mußte er aus eigenem Antrieb gehen.
    Tatsächlich hatte Mom Homer eine Vorschau vermittelt, wie seine angebliche Fummelei behandelt und zweifellos geheilt werden würde. Sie ließ ihn vor dem Feldbett im Heizungskeller niederknien.
    »Sprich mir nach«, sagte sie und wiederholte des Professors sonderbare Version des Dankgebets. »Ich bin lasterhaft, ich verabscheue mich«, sprach Mom, und Homer sprach es ihr nach – wohl wissend, daß jedes Wort gelogen war. Noch nie hatte er sich selbst so gut leiden können. Er fühlte, er war auf der Spur, herauszufinden, wer er war und wie er sich nützlich machen konnte, aber er wußte auch, daß der Weg zurück nach St. Cloud’s führte.
    Als Mom ihm einen Gutenachtkuß gab, sagte sie: »Na, Homer, mach dir keine Sorgen, was der Professor dazu sagen wird. Was immer er sagt, du darfst es nicht für bare Münze nehmen.«
    Homer Wells wartete den Vortrag des Professors über die Fummelei nicht ab. Homer trat ins Freie; auch der Schnee konnte ihn nicht aufhalten. 193–, in Waterville, überraschte es niemanden, zum Erntedankfest so viel Schnee auf der Erde zu sehen; und Professor Draper hatte Homer sorgfältig über die Meriten und Methoden des Schneeschuhlaufs aufgeklärt.
    Homer war ein tüchtiger Wanderer. Die Straße, die in die Stadt führte, fand er auf Anhieb, und dann auch die breitere Landstraße. Es war schon heller Tag, als der erste Lastwagen hielt; es war ein Holzfuhrwerk. In Anbetracht seines Reiseziels war das für Homer genau das richtige. »Ich gehöre nach St. Cloud’s«, erzählte er dem Fahrer. »Ich habe mich verlaufen.« 193– wußte jeder Holzfuhrwerker, wo St. Cloud’s lag, nämlich in entgegengesetzter Richtung, und der Fahrer wußte es auch.
    »Du bist auf dem falschen Weg, Kleiner«, riet er dem Jungen. »Dreh dich um und warte auf ein Fuhrwerk, das in die andere Richtung fährt. Wie sagst du, du bist aus St. Cloud’s?« fragte der Fahrer. Wie die meisten Menschen dachte er, daß Waisen nur immer aus dem Waisenhaus wegstatt hinlaufen.
    »Ich gehöre einfach dorthin«, sagte Homer Wells, und der Fahrer winkte zum Abschied. Nach Dr. Larchs Auffassung konnte dieser Fahrer – da er so fühllos war, einen Jungen allein im Schnee losziehen zu lassen – nur ein Angestellter der Ramses-Papierfabrik sein.
    Der nächste Fahrer steuerte ebenfalls ein Holzfuhrwerk. Es war leer und unterwegs in den Wald, um noch mehr Baumstämme zu holen, und St. Cloud’s lag mehr oder minder am Weg.
    »Ein Waisenjunge?« fragte der Fahrer, als Homer sagte, daß er nach St. Cloud’s wolle.
    »Nein«, sagte Homer. »Ich gehöre einfach dorthin – einstweilen.«
    193– dauerte es in Maine lange, um irgendwohin zu fahren, besonders bei schneebedeckter Straße. Es wurde schon dunkel, als Homer in sein Zuhause zurückkehrte. Die Tönung des Lichts war dieselbe wie an dem frühen Morgen, als er die Mütter gesehen hatte, die ihre Kinder zurückließen. Homer stand eine Zeitlang vor dem Eingang zum Spital und sah den Schnee fallen. Dann ging er und stellte sich vor den Eingang der Knabenabteilung. Dann ging er zurück und stand draußen vor dem Eingang zum Spital, weil dort besseres Licht war.
    Er dachte noch immer nach, was er Dr. Larch eigentlich sagen solle, als die Kutsche vom Bahnhof – jener unselige Schlitten – vor der Einfahrt zum Spital hielt und eine einzige Reisende absetzte. Sie war so hochschwanger, daß der Fahrer zuerst besorgt schien, sie könnte ausrutschen und stürzen; dann schien der Fahrer

Weitere Kostenlose Bücher