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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Geschichte war, wie ein Vater sie sich für seinen Sohn ausdenken würde – falls ein Vater seinen Sohn dazu bringen konnte, sie zu glauben.
    Homer Wells konnte sich in diesem Augenblick weder eine Geschichte noch sonst etwas ausdenken, was Curly Day hätte trösten können, der sich unter mehreren Kopfkissen und einer Decke vergrub und schluchzte.
    »Wozu mußt du adoptiert werden?« schrie Curly. »Du bist praktisch ein Doktor!«
    »Es ist nur für zwei Tage«, wiederholte Homer Wells; mit jeder Wiederholung klang sein Versprechen weniger glaubhaft.
    »Sie nehmen dich! Ich kann’s nicht glauben!« schrie Curly Day.
    Schwester Angela kam und setzte sich neben Homer auf Curlys Bett. Gemeinsam betrachteten sie den schluchzenden Hügel unter der Bettdecke.
    »Es ist nur für zwei Tage, Curly«, sagte Schwester Angela lahm.
    »Doktor Larch hat gesagt, daß Homer da ist, um uns zu beschützen!« schrie Curly. »Schöner Schutz!«
    Schwester Angela flüsterte Homer zu: falls er es übernehmen wolle, den Operationstisch zu säubern, würde sie bei Curly sitzen bleiben, bis der sich besser fühlte; sie habe den Tisch nicht aufräumen wollen, während das nette junge Pärchen gern allein bleiben wollte. »Deine Freunde hatten anscheinend einen schönen Augenblick miteinander«, flüsterte Schwester Angela Homer Wells zu. Meine Freunde! dachte er. Ist es möglich, daß ich Freunde haben werde?
    »Du bist nicht der Beste, Homer!« schrie Curly unter der Bettdecke.
    »Richtig«, sagte Homer; er versuchte Curly zu tätscheln, aber Curly machte sich steif und hielt die Luft an. »Mach’s gut, Curly«, sagte Homer.
    »Verräter!« schrie Curly Day. Curly erkannte anscheinend die Berührung von Schwester Angelas Hand; sein steifer Körper entspannte sich, und er überließ sich einem beharrlichen Schluchzen.
    Schwester Edna hatte endlich Klein Steerforth von seinem Weinen abgebracht, oder sie war einfach ausdauernder gewesen als das Baby, das jetzt gewaschen und angezogen und beinah schlafend in Schwester Ednas Armen lag. Er hatte genug Milchpulverlösung zu sich genommen, um Schwester Edna zufriedenzustellen, und darum legte sie ihn in sein Bettchen und fuhr fort, den Raum zu säubern, wo er zur Welt gebracht worden war. Kaum hatte sie ein frisches Laken über den Tisch gebreitet – sie wischte gerade die schimmernden Beinstützen –, als Dr. Larch in den Raum wankte, den steifen Körper des Bahnhofsvorstehers wie ein etwas schwankendes Brett über der Schulter.
    »Wilbur!« sagte Schwester Edna mißbilligend. »Dabei sollten Sie sich von Homer helfen lassen.«
    »Es ist Zeit, sich daran zu gewöhnen, daß Homer nicht da ist«, entgegnete Dr. Larch knapp und ließ den Körper des Bahnhofsvorstehers auf den Tisch fallen. Oh, du liebe Güte, dachte Schwester Edna, uns stehen harte Zeiten bevor.
    »Ich vermute, auch Sie haben die Sternum-Schere nicht gesehen?« fragte Dr. Larch sie.
    »Den Kneifer?« fragte sie.
    »Die Schere heißt es«, sagte er. »Wenn Sie ihn bitte entkleiden wollen, dann kann ich Homer fragen gehen.«
    Homer klopfte, bevor er in den Operationssaal eintrat, wo Candy sich mit Wallys ungeschickter Hilfe angekleidet hatte und jetzt in einer sonderbar feierlichen Pose dastand – als habe das Paar soeben einen Tanzwettbewerb absolviert und warte auf den Applaus der Kampfrichter.
    »Ihr könnt jetzt beruhigt sein«, sagte Homer Wells, der Candy noch immer nicht direkt ins Gesicht sehen konnte. »Vielleicht wollt ihr etwas an die frische Luft? Ich werde nicht lange brauchen; ich muß nur noch den Tisch säubern.« Verlegen, als hätte er sich’s anders überlegt, setzte er an Candy gewandt hinzu: »Sie fühlen sich doch gut, nicht wahr?«
    »O ja«, sagte sie, und ihre Augen glitten rasch an Homer vorbei; sie lächelte Wally aufmunternd zu.
    Das war der Moment, als Dr. Larch hereinkam und Homer fragte, ob er wisse, wo die Sternum-Schere sei.
    »Sie ist bei Clara«, gestand Homer. »Tut mir leid«, fügte er schnell hinzu. »Ich hatte sie dort, weil ich dachte, ich würde sie brauchen für die Autopsie. An dem Fötus«, fügte er hinzu.
    »Man benützt keine Sternum-Schere bei einem Fötus«, sagte Dr. Larch.
    »Ich weiß – ich habe die kleine Schere benutzt«, sagte Homer Wells, der merkte, daß die Wörter »Fötus« und »Autopsie« wie Blutstropfen auf Wally und Candy fielen. »Ich hole Ihnen die Schere«, sagte Homer zu Dr. Larch.
    »Nein, mach hier fertig«, sagte Larch. »Ihr beide solltet etwas an die

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