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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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er als nächstes tun würde. Zweifellos hatte er die hochempfindlichen und feinabgestimmten Gefühle des Leichenwagenfahrers verletzt. Ein delikates Geschäft, dachte der Gehilfe und versuchte sich zu beruhigen. Welchen Fehler werde ich als nächstes machen? Er kauerte sich in den Winkel im Flur in der Nähe der Apotheke, aus der der Äthergeruch in Schwaden zu ihm herausdrang; er hatte keine Ahnung, daß der Körper, den er in »Augenschein« nehmen wollte, keine fünfzehn Fuß von ihm entfernt lag. Er glaubte sogar, Babys zu riechen – er hörte eines plärren. Er glaubte, die Babys würden geboren, während die Frauen ihre Beine kerzengerade hochreckten, die Fußsohlen gegen die Zimmerdecke gestreckt; diese Vision nagelte ihn fest in seinem Winkel im Flur. Ich rieche Blut! bildete er sich ein und versuchte, seine Panik unter Kontrolle zu bringen. Er klebte an der Wand, fast wie Gips – fast so sehr, daß Wally ihn nicht bemerkte, als er, in Sorge, wer da gestorben sei, zum Eingang des Spitals hereinkam. Wally trat in die Apotheke, vom Äther wie magisch angezogen – auch wenn er gleich wieder seine Übelkeit spürte. Er entschuldigte sich bei den Füßen des Bahnhofsvorstehers.
    »Oh, entschuldigen Sie«, flüsterte Wally und taumelte auf den Flur zurück.
    Er hörte Schwester Angela mit Candy sprechen, die bereits aufrecht sitzen konnte. Wally stürzte zu ihnen hinein, aber der Blick der Erleichterung in seinem Gesicht – als er sah, daß Candy nicht die Totgesagte war – war so rührend für Schwester Angela, daß sie ihm nicht einmal böse war, weil er hereingeplatzt war.
    »Bitte, kommen Sie rein«, sagte sie zu Wally, mit ihrer besten Krankenhausstimme, die in der ersten Person Plural sprach: »Wir fühlen uns schon viel besser«, sagte Schwester Angela. »Wir können zwar noch nicht herumtanzen, aber wir sitzen schon ganz ordentlich aufrecht – nicht wahr?« fragte sie Candy, die lächelte. Candy freute sich so unverkennbar, Wally zu sehen, daß Schwester Angela das Gefühl hatte, sie sollte die beiden allein lassen. St. Cloud’s hatte keine große und zärtliche Geschichte aufzuweisen, was die Anwesenheit von glücklichen Paaren in diesem Operationssaal betraf, und Schwester Angela war ebenso überrascht wie froh, einen Mann und eine Frau zu sehen, die sich liebten. Ich kann später aufräumen, dachte sie – oder ich werde Homer bitten, es zu tun.
    Homer und Dr. Larch sprachen miteinander. Schwester Edna hatte die Frau aus Damariscotta in ihr Bett auf die Mütterstation zurückgebracht, und Dr. Larch untersuchte das Baby, das Homer Wells entbunden hatte – den kleinen Steerforth (ein Name, den Larch bereits kritisiert hatte; es lag eine gewisse Niederträchtigkeit in Steerforths Charakter – oder hatte Homer jenen Teil vergessen? –, und es gab auch einen Todesfall durch Ertrinken; Steerforth war, nach Dr. Larchs Meinung, eher ein Brandmal denn ein Name). Aber sie sprachen nicht mehr über Steerforth.
    »Wally sagt, es würde nur ein paar Tage dauern«, sagte eben Homer Wells. »Wir werden einen Lastwagen aufladen müssen, schätze ich. Es werden vierzig Bäume sein. Und ich möchte gern die Küste sehen.«
    »Natürlich solltest du fahren, Homer – es ist eine große Chance«, sagte Dr. Larch. Er pikte Steerforth mit einem Finger in den Bauch; dann verlockte er Steerforth, einen seiner anderen Finger zu greifen; dann leuchtete er mit einer kleinen Lampe in Steerforths Augen.
    »Ich würde nur zwei Tage fort sein«, sagte Homer Wells.
    Wilbur Larch schüttelte den Kopf; zuerst dachte Homer, daß etwas nicht in Ordnung sei mit Steerforth. »Vielleicht nur zwei Tage, Homer«, sagte Dr. Larch. »Du solltest die Gelegenheit beim Schopf packen, du darfst dir diese Chance nicht entgehen lassen – in nur zwei Tagen.«
    Homer starrte Dr. Larch an, aber Larch spähte in Steerforths Ohren. »Wenn dieses junge Pärchen an dir Gefallen findet, Homer, und du an ihnen … nun«, sagte Larch, »so wirst du wohl auch ihre Eltern kennenlernen, und wenn ihre Eltern an dir Gefallen finden … nun«, sagte Dr. Larch, »ich meine, du solltest versuchen, ihre Eltern dazu zu bringen, daß sie an dir Gefallen finden.«
    Er sah Homer nicht an, der ihn anstarrte; Dr. Larch untersuchte das abgebundene Ende der Nabelschnur, während Steerforth schrie und schrie.
    »Ich glaube, wir wissen beide, daß es gut wäre für dich, länger als nur zwei Tage fort zu sein, Homer«, sagte Dr. Larch. »Du verstehst, ich spreche nicht

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