Gottes Werk und Teufels Beitrag
Larch. »Wann hast du das getan?«
»Vor gar nicht langer Zeit«, sagte Melony. »Vor ziemlich kurzem. Ich habe es nicht gewollt.«
»Wie ist es passiert?« fragte Larch sie.
»Ich habe ihr den Arm auf den Rücken gedreht – sie lag am Boden –, und dann bin ich ihr auf die Schulter getreten, auf der Seite, wo der Arm verdreht war.«
»Autsch«, sagte Dr. Larch.
»Ich hab’s gehört«, sagte Melony. »Ihr Arm oder ihr Brustkorb.«
»Vielleicht ihr Schlüsselbein«, mutmaßte Larch. Der Körperhaltung nach mußte es eigentlich das Schlüsselbein gewesen sein.
»Na, egal, jedenfalls hab ich es knacken gehört«, sagte Melony.
»Wie fühltest du dich dabei?« fragte Wilbur Larch. Melony zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Widerlich, schätze ich, aber stark«, fügte sie hinzu. »Widerlich und stark«, sagte sie.
»Vielleicht möchtest du gern mehr zu tun haben?« fragte Larch sie.
»Hier?« fragte Melony.
»Warum nicht?« sagte Larch. »Ich könnte mehr für dich zu tun finden – wichtigere Dinge. Natürlich kann ich mich auch nach Arbeit umsehen für dich – draußen, meine ich. Außerhalb.«
»Sie wollen mich fortschicken oder mir mehr Pflichten übertragen, ist es das?«
»Ich will dir gar nichts übertragen, was du nicht willst. Du hast mir einmal gesagt, daß du nicht wegwillst – und ich werde dich niemals dazu zwingen. Nur, ich dachte mir, du suchst vielleicht nach einer Veränderung.«
»Es gefällt Ihnen nicht, wie ich vorlese, he?« fragte Melony. »Ist es das?«
»Nein!« sagte Dr. Larch. »Ich möchte, daß du weiter vorliest, aber du könntest hier auch noch ganz andere Dinge tun.«
»Sie wollen, daß ich das mache, was Homer Wells gemacht hat?«
»Homer hat sehr viel gelernt«, sagte Dr. Larch. »Vielleicht könntest du Schwester Angela und Schwester Edna assistieren, und mir. Vielleicht hättest du Interesse, einfach zu beobachten – zu sehen, ob es dir gefällt.«
»Ich finde es widerlich«, sagte Melony.
»Du mißbilligst es?« fragte Larch, und Melony schaute echt verwirrt drein.
»Was?« fragte sie.
»Du findest, wir sollten keine Abtreibungen ausführen?« fragte Larch. »Du bist gegen den Schwangerschaftsabbruch, gegen die Abtreibung des Fötus?«
Melony zuckte die Schultern. »Ich glaube nur, es wäre mir widerlich«, wiederholte sie. »Babys auf die Welt holen – bäh«, sagte sie. »Und Babys aus Leuten herausschneiden – noch einmal bäh!«
Larch war verwirrt. »Aber nicht, weil du es falsch findest?« fragte er.
»Was ist falsch daran?« fragte sie zurück. »Ich finde es widerlich. Blut, so Zeug, das den Leuten aus dem Körper fließt – ihhh«, sagte Melony. »Es riecht schlecht hier«, fügte sie hinzu und meinte die Spitalluft – den Geruch nach Äther und geronnenem Blut.
Wilbur Larch starrte Melony an und dachte: Ach, sie ist nur ein großes Kind! Sie ist einfach ein Rabauke.
»Ich will nicht im Spital arbeiten«, sagte Melony entschieden. »Ich werde Laub rechen oder so etwas – so ’n Zeug ist okay, falls Sie wollen, daß ich mehr arbeite, für mein Essen, oder so.«
»Ich will, daß du glücklicher wirst, Melony«, sagte Dr. Larch behutsam. Er fühlte sich elend beim Anblick des vernachlässigten Geschöpfs vor ihm.
»Glücklicher!« sagte Melony und hüpfte von ihrem Stuhl hoch. Die gestohlene Haarspange bohrte sich in sie hinein. »Sie müssen blöde sein, oder verrückt.« Dr. Larch war nicht schockiert; er nickte und erwog beides.
Er hörte Mrs. Grogan auf dem Flur schreien, draußen vor der Apotheke.
»Doktor Larch! Doktor Larch!« rief sie. »Wilbur?« fügte sie hinzu, was Schwester Edna einen Stich versetzte, weil sie in bezug auf den Gebrauch dieses Namens ein gewisses Vorrecht zu haben glaubte. »Mary Agnes hat sich den Arm gebrochen!« Larch starrte Melony an, die zum ersten Mal ein Lächeln zustande brachte.
»Du hast gesagt, das sei ›vor gar nicht langer Zeit‹ passiert?«
»Ich sagte: ›vor ziemlich kurzem‹«, gab Melony zu.
Larch ging in die Apotheke, wo er Mary Agnes’ Schlüsselbein untersuchte. Es war gebrochen. Dann wies er Schwester Angela an, das Kind zum Röntgen vorzubereiten.
»Ich bin auf dem Boden des Duschraums ausgerutscht«, stöhnte Mary Agnes. »Es war echt naß.«
»Melony!« rief Dr. Larch. Melony lungerte auf dem Flur herum. »Melony, möchtest du zusehen, wie wir ein Schlüsselbein einrichten?« Melony schlenderte in den kleinen, beengten Apothekenraum, wo jetzt auch noch
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