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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Cadillac und Wallys glühende Zigarette hell, aber winzig in der Dunkelheit aufleuchteten. Die Reifen des großen Wagens brummten beschwichtigend; sie war dankbar für Homers Gegenwart, weil sie nicht mit Wally reden – oder ihm zuhören – mußte. Sie hörte nicht einmal, was Wally und Homer einander erzählten. »Geschichten aus dem Leben«, sollte Wally ihr später sagen. »Der Junge hat vielleicht ein Leben gehabt! Aber das soll er dir lieber selbst erzählen.«
    Der Rhythmus ihres Gesprächs war so einlullend wie der Gesang der Reifen, doch so müde Candy auch war, sie konnte nicht schlafen. Sie dachte daran, wie sehr sie blutete – vielleicht mehr, als sie sollte, überlegte sie beunruhigt. Zwischen St. Cloud’s und der Küste bat sie Wally dreimal, den Wagen anzuhalten. Sie überprüfte immer wieder ihre Blutung und wechselte die Binde; Dr. Larch hatte ihr ziemlich viele Binden mitgegeben – aber würden sie reichen, und wieviel Blutung war zuviel? Sie betrachtete Homers Hinterkopf. Falls es morgen schlimmer ist oder übermorgen genauso schlimm, dachte sie, werd ich ihn fragen müssen.
    Als Wally auf die Toilette ging und sie im Wagen allein ließ, sprach Homer mit ihr, aber er drehte sich nicht um. »Du hast jetzt wahrscheinlich Krämpfe, ungefähr so schlimm, wie wenn du deine Periode hast«, sagte er. »Du blutest wahrscheinlich, aber nicht so stark wie während deiner Periode – nicht annähernd so stark wie an den schwersten Tagen. Wenn die Flecken auf der Binde nur zwei bis drei Zoll im Durchmesser sind, dann ist’s okay. Das ist zu erwarten.«
    »Danke«, flüsterte Candy.
    »Die Blutung sollte morgen nachlassen und übermorgen noch viel leichter werden. Falls du beunruhigt bist, kannst du mich gern fragen«, sagte er.
    »Okay«, sagte Candy. Es kam ihr so seltsam vor, daß ein Junge in ihrem Alter so viel von ihr wußte.
    »Ich habe noch nie einen Hummer gesehen«, sagte Homer Wells, um das Thema zu wechseln – um ihr zu ermöglichen, die Expertin zu sein.
    »Dann hast du auch noch nie einen gegessen«, sagte Candy fröhlich.
    »Ich weiß nicht, ob ich etwas essen möchte, was ich noch nie gesehen habe«, sagte Homer, und Candy lachte. Sie lachte noch, als Wally wieder in den Wagen stieg.
    »Wir sprechen über Hummer«, erklärte Homer.
    »Oh, sie sind spaßig«, sagte Wally, und alle drei lachten.
    »Warte, bis du einen siehst«, sagte Candy zu Homer. »Er hat noch nie einen gesehen«, erzählte sie Wally.
    »Sie sind sogar noch lustiger, wenn du sie siehst«, sagte Wally. Das Lachen tat Candy weh; sie hielt ganz plötzlich inne, aber Homer lachte weiter. »Und warte, bis sie versuchen, mit dir zu sprechen«, fügte Wally hinzu. »Hummer hauen mich einfach immer um, wenn sie zu sprechen versuchen.«
    Als er und Wally zu lachen aufhörten, sagte Homer: »Ich habe noch nie den Ozean gesehen, weißt du.«
    »Candy, hast du das gehört?« fragte Wally, aber auf Candy hatte das kurze Lachen befreiend gewirkt; sie schlief fest. »Du hast niemals den Ozean gesehen?« fragte Wally Homer.
    »Ja, richtig«, sagte Homer Wells.
    »Das ist nicht lustig«, sagte Wally ernst.
    »Richtig«, sagte Homer.
    Ein wenig später sagte Wally: »Möchtest du eine Weile fahren?«
    »Ich kann nicht Auto fahren«, sagte Homer.
    »Wirklich?« fragte Wally. Und noch später – es war beinah Mitternacht – fragte Wally: »Äh, hast du schon mal mit einem Mädchen – Liebe gemacht mit einer, weißt du?« Aber auch Homer hatte sich befreit gefühlt: er hatte laut gelacht mit seinen neuen Freunden. Der junge, aber erfahrene Schlaflose war eingeschlafen. Ob Wally überrascht gewesen wäre, zu hören, daß Homer auch noch nie mit Freunden gelacht hatte? Und möglicherweise wäre es Homer schwergefallen, seine Beziehung mit Melony als etwas zu schildern, das auf Liebemachen beruhte.
    Was für ein neues Gefühl der Sicherheit hatte Homer in diesem Augenblick des Lachens mit Freunden empfunden, in der eingekapselten Dunkelheit des rollenden Wagens! Und was für ein Gefühl der Freiheit schenkte ihm das Auto selbst – sein scheinbar müheloses Dahinreisen war wie ein Wunder für Homer Wells, für den die Idee der Fortbewegung (geschweige denn der Veränderung) bisher nur ausnahmsweise und unter gewaltigen Anstrengungen Wirklichkeit geworden war.
    »Candy?« flüsterte Wally. Und ein wenig später flüsterte er: »Homer?« Ihm gefiel der Gedanke sehr, diese beiden durch die verdunkelte Welt zu steuern, ihr Führer zu sein durch

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