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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Knabenabteilung und fand, daß sie ihrer Pflichten als Vorleserin entbunden werden sollte. Schwester Angela widersprach; wenn Melony beharrlich das böse Spukgespenst spielte, so doch nur, weil ihr die richtigen Aufgaben fehlten. Auch gab es vielleicht gar nicht mehr Alpträume: seit Homer Wells fort war (nun schon einen Monat), war es vielleicht einfach so, daß nun Schwester Edna und Schwester Angela die Jungen hörten, die unter nächtlichem Horror litten – in der Vergangenheit hatte Homer sie als erster gehört und sich um sie gekümmert.
    Mrs. Grogan war dafür, Melony mehr Pflichten aufzutragen; sie meinte, das Mädchen stünde an der Schwelle einer Veränderung – sie könnte sich entweder über ihre eigene Verbitterung erheben oder noch tiefer in sie versinken. Schwester Angela schlug Dr. Larch schließlich vor, daß Melony sich doch nützlich machen könnte.
    »Noch nützlicher, meinen Sie?« fragte Dr. Larch.
    »Richtig«, sagte Schwester Angela, aber Dr. Larch mochte es nicht, wenn jemand die Sprechweise von Homer Wells nachahmte; er warf Schwester Angela einen so strengen Blick zu, daß sie nie wieder »Richtig« sagte. Und genausowenig mochte er den Vorschlag, daß Melony nach und nach Homers Platz einnehmen könnte – auch nicht im Sichnützlich-Machen.
    Schwester Edna vertrat Melonys Sache. »Wenn sie ein Junge wäre, Wilbur«, sagte Schwester Edna, »hätten Sie ihr bereits mehr zu tun gegeben.«
    »Das Spital hängt mit der Knabenabteilung zusammen«, sagte Larch. »Was hier passiert, ist unmöglich vor den Jungen geheimzuhalten. Aber mit den Mädchen ist das eine andere Sache«, endete er wenig überzeugend.
    »Melony weiß, was hier passiert«, sagte Schwester Angela.
    Wilbur Larch fühlte sich in die Ecke getrieben. Auch war er wütend auf Homer Wells – er hatte dem Jungen die Erlaubnis gegeben, seine Abwesenheit von St. Cloud’s möglichst lange auszudehnen, aber er hatte nicht erwartet, daß er beinah sechs Wochen nichts (kein Wort!) von Homer hören würde.
    »Ich weiß nicht, ob ich noch die Geduld habe, mit einer Halbwüchsigen zu arbeiten«, sagte Larch mürrisch.
    »Ich glaube, Melony ist vierundzwanzig oder fünfundzwanzig«, sagte Mrs. Grogan.
    Wie konnte jemand in dem Alter noch immer in einem Waisenhaus sein?, fragte sich Larch. Genauso, wie ich immer noch hier bin, gab er sich selbst die Antwort. Wer sonst würde die Arbeit erledigen? Wer sonst würde für Melony sorgen? »Nun gut. Fragen wir sie, ob sie Interesse hat«, sagte Larch.
    Er fürchtete die Begegnung mit Melony; er konnte nicht anders, aber er gab ihr die Schuld für die Widerspenstigkeit, die sich in Homers Wesen eingeschlichen, und für die Auflehnung, die Homer ihm gegenüber plötzlich an den Tag gelegt hatte. Larch wußte, daß er ungerecht war, und empfand Schuldgefühle; er fing an, die Post zu beantworten.
    Da war ein langer (wenn auch geschäftsmäßiger) Brief von Olive Worthington, und ein Scheck – eine recht ansehnliche Spende für das Waisenhaus. Mrs. Worthington sagte, sie sei erfreut, daß ihr Sohn so »hingerissen« gewesen sei von dem guten Werk in St. Cloud’s, daß er es für richtig befunden habe, einen von Dr. Larchs »Jungs« mit nach Hause zu bringen. Es sei den Worthingtons recht, daß Homer über den Sommer bleibe. Oft heuerten sie »Schülerhilfen« an, und sie sei offen gestanden dankbar dafür, daß ihr Sohn Wally »die Chance hat, mit jemand in seinem Alter – aber aus weniger privilegierten Verhältnissen – Umgang zu pflegen«. Olive Worthington wolle Larch wissen lassen, daß sie und ihr Gatte Homer für einen guten Jungen hielten, höflich und ein fleißiger Arbeiter, und daß er »insgesamt von mäßigendem Einfluß auf Wally« zu sein scheine. Abschließend hoffte sie, »Wally wird durch seine Nähe zu Homer auch den Wert täglicher Arbeit kennenlernen«, und daß Homer »eindeutig profitiert hat von einer strengen Ausbildung« – dieses Urteil gründete sie auf Homers Fähigkeit, das Apfelgeschäft zu erlernen, »als sei er anspruchsvollere Studien gewöhnt«.
    Olive wollte Dr. Larch wissen lassen, daß Homer darum gebeten habe, in Form einer monatlichen Spende an St. Cloud’s entlohnt zu werden, abzüglich lediglich dessen, was sie berechtigterweise als seine Ausgaben veranschlagen würde; nachdem er ein Zimmer mit Wally teile und in Wallys Kleider passe und nachdem er seine Mahlzeiten mit der Familie Worthington esse, seien die Ausgaben des Jungen, wie Olive Worthington

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