Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Angela oder Schwester Edna als Werfer beim Schlagball her. Der Ball bestand aus ein paar Socken, mit Klebeband umwickelt; er flog schlecht. Larch hatte nichts gegen ein Leben in freier Natur; er kannte ja keines. Er vermutete, etwas von der dabei »vergeudeten« Energie werde Homer guttun – vielleicht konnte solch körperliche Ertüchtigung bei dem Jungen den Sinn fürs Komische steigern. Eine Quelle der Komik war für Schwester Edna und Schwester Angela der Name des Ehepaars. Mit Familiennamen hießen sie Winkle – er hieß Grant, sie hieß Billy. Sie gehörten zu der sehr kleinen Geldschicht von Maine. Ihr Geschäft, wie sie es albernerweise nannten, brachte ihnen keinen Cent, aber sie hatten es nicht nötig, Geld zu verdienen; sie waren reich geboren. Ihr unnützes Unternehmen bestand darin, Leute in die Wildnis mitzunehmen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, als wären sie dort verloren; sie nahmen auch Leute mit, wenn sie in wackeligen Schlauchbooten und Kanus über Stromschnellen hinabschossen, und verschafften ihnen das Gefühl, als würden sie gewiß zerschmettert, bevor sie ertranken. Die Winkles betätigten sich in der Branche der Gefühlsproduktion für Leute, die von eigenen, durch die eigenen Lebensumstände hervorgerufenen Gefühlen so weit entfernt waren, daß nur noch das große (wenn auch nur simulierte) Abenteuer sie aus der Reserve locken konnte. Das »Geschäft« der Winkles beeindruckte Larch wenig. Für ihn waren sie reiche Leute, die einfach taten, was ihnen gefiel, und die das Bedürfnis hatten, dem, was sie taten, einen seriöseren Namen zu geben als Spiel. Was Dr. Larch beeindruckte, war die Tatsache, daß die Winkles irrsinnig glücklich waren. Bei Erwachsenen – und bei Waisen –, so hatte Larch festgestellt, war irrsinniges Glück eine Seltenheit.
    »In anderen Teilen der Welt«, schrieb Dr. Larch, »hält man irrsinniges Glücklichsein für einen Geisteszustand. Hier in St. Cloud’s stellen wir fest, daß irrsinniges Glücklichsein nur den völlig Geistlosen möglich ist. Ich bezeichne es daher als jenes höchst seltene Ding: einen Zustand der Seele.« Larch war oft witzig, wenn er von der Seele sprach. Er hänselte Schwester Edna und Schwester Angela gerne im Operationssaal, wo das Thema Seele die guten Schwestern unvorbereitet traf.
    Einmal, vor einer aufgeschnittenen Leiche auf dem Tisch, deutete Larch theatralisch auf ein glattes, kastanienbraunes Gebilde unter dem Brustkorb und über den Eingeweiden der Bauchhöhle; es sah aus wie ein dreipfündiger Brotlaib oder wie eine Schnecke mit zwei Kriechfüßen. »Seht!« flüsterte Larch. »Man bekommt sie nur selten zu Gesicht, aber wir haben sie beim Mittagsschlaf überrascht. Seht, schnell, bevor sie sich regt!« Die Schwestern sperrten Mund und Augen auf. »Die Seele«, flüsterte Larch ehrfürchtig. Tatsächlich war es die größte Drüse des menschlichen Körpers, ausgestattet mit Fähigkeiten, wie sie auch der Seele zugeschrieben werden – zum Beispiel, ihre mißhandelten Zellen selbst zu erneuern. Es war die Leber, an die Larch mehr Gedanken wendete als an die Seele.
    So sehr das irrsinnige Glück der Winkles ein Geistesoder ein Seelenzustand sein mochte, so sehr wünschte sich Wilbur Larch, daß etwas davon auf Homer Wells abfärben möge. Die Winkles hatten sich schon immer ein Kind gewünscht, »um zusammen mit uns die Welt der Natur zu erleben«, wie sie sagten, »und natürlich auch, um ein Kind glücklich zu machen«. Wenn Dr. Larch die beiden so anschaute, machte er sich seine eigenen Gedanken darüber, weshalb sie sich nicht erfolgreich fortpflanzen konnten. Mangel an nötiger Konzentration, dachte Larch. Und Larch vermutete, daß die Winkles nie lange genug Rast machten, um sich zu paaren. Vielleicht, so spekulierte er, ist Billy Winkle in Wirklichkeit gar keine Frau.
    Grant hatte einen Plan. Er hat kein Gesicht, stellte Dr. Larch fest, als er die stumpfen Gesichtszüge des Mannes zu erkennen suchte, irgendwo zwischen seinem blonden Bart und seinem noch blonderen Haar. Sein Haar, zu Ponyfransen gestutzt, verdeckte gänzlich die niedrige Stirn. Die Wangen, oder was Larch von ihnen erkennen konnte, waren Wülste, die Augen dahinter versteckt. Der Rest war Bart – ein blondes Dickicht, bei dem Billy Winkle, so stellte Larch sich vor, eine Machete brauchte, um sich einen Weg freizuhacken. Grant hatte den Plan, sich Homer ein Weilchen auszuborgen, zum Elche-Pirschen. Die Winkles wollten einen Ausflug mit Kanu und zu

Weitere Kostenlose Bücher