Gottes Werk und Teufels Beitrag
Fuß durch den nördlichen Staatsforst machen, und der Hauptspaß dabei sollte sein, Elche zu beobachten. Ein zusätzliches Vergnügen sollte es werden, Homer Wells ein wenig mit dem Wildwasser bekannt zu machen.
Ein solcher Ausflug, meinte St. Larch, in den mächtigen Händen der Winkles, konnte Homer nicht gefährlich werden. Weniger überzeugt war er, ob Homer bei diesen Leuten würde bleiben wollen, um sich schließlich von ihnen adoptieren zu lassen. Er machte sich kaum Sorgen, daß die Verrücktheit der Winkles den Jungen stören könnte, und das tat sie denn auch nicht. Welcher Junge fühlt sich schon gestört durch das ewige Abenteuer? Vielmehr argwöhnte Wilbur Larch, die Winkles könnten Homer zu Tränen langweilen, wenn nicht zu Tode. Ein Campingausflug in den Staatsforst – etwas Wildwasser dann und wann, ein paar Elche – mochte dem Jungen eine Ahnung vermitteln, ob er es für immer bei Grant und Billy würde aushalten können oder nicht.
»Und wenn es dir Spaß macht in den Wäldern«, sagte Grant Winkle fröhlich zu Homer, »nehmen wir dich mit aufs Meer!« Vermutlich reiten sie auf Walfischen, überlegte sich Homer. Sie hänseln die Haie, dachte Dr. Larch.
Dr. Larch aber wollte, daß Homer es versuchte, und Homer Wells war bereit – für St. Larch hätte er alles versucht.
»Nichts Gefährliches«, sagte Larch streng zu den Winkles.
»O nein, Hand aufs Herz!« rief Billy; auch Grant legte die Hand auf sein Herz.
Es führte nur eine Straße durch den nördlichen Staatsforst, soviel wußte selbst Dr. Larch. Sie war von der Ramses-Papierfabrik erbaut worden und noch immer in deren Besitz. Bäume im Staatsforst schlagen durften sie nicht, wohl aber ihre Maschinen hindurchtransportieren, en route zu anderen Bäumen, die ihnen gehörten. Nur dies – daß Homer sich den Aktivitäten der Ramses-Papierfabrik auch nur nähern sollte – machte Dr. Larch Sorgen.
Homer war überrascht, wie wenig Platz es gab in der Kabine des selbstgebastelten Safarifahrzeugs, das die Winkles fuhren. Die Ausrüstung, die es beförderte, war eindrucksvoll: das Kanu, das Zelt, die Angelgeräte, die Kochutensilien, die Gewehre. Doch gab es für den Fahrer und die Mitreisenden wenig Platz. In der Kabine hockte Homer auf Billys Schoß; es war ein breiter Schoß, aber sonderbar unbequem, wegen der harten Schenkel. Homer hatte schon früher einmal den Schoß einer Frau gespürt, beim alljährlichen Dreibein-Rennen in St. Cloud’s.
Einmal im Jahr belustigten die Jungen- und Mädchenabteilung die Stadt mit diesem Wettlauf. Es war eine Wohltätigkeitsveranstaltung für das Waisenhaus, darum ließ jeder es über sich ergehen. Die beiden letzten Jahre hatte Homer das Rennen gewonnen – nur, weil seine Partnerin, das älteste Mädchen der Mädchenabteilung, kräftig genug war, ihn hochzuheben und mit ihm auf den Armen durchs Ziel zu rennen. Der Witz dabei war, daß je ein Junge und ein Mädchen passenden Alters sein linkes Bein mit ihrem rechten Bein zusammenbinden mußten; dann hüpften sie auf den beiden freien Beinen dem Ziel entgegen, das elende, sogenannte dritte Bein zwischen sich mitschleppend. Das große Mädchen aus der Mädchenabteilung brauchte Homer nicht zu schleppen – sie schummelte, sie trug ihn einfach. Im letzten Jahr aber war sie auf der Ziellinie gestürzt und hatte Homer in ihren Schoß gerissen. Versehentlich, beim Versuch, sich aus ihrem Schoß zu befreien, hatte er mit der Hand ihren Busen berührt, und sie hatte ihn kräftig in den – wie der Privatschuljunge aus Waterville sich ausdrückte – Pimmel gekniffen.
Sie hieß Melony, und ihr Name war, wie so manche Namen der Waisen in der Mädchenabteilung, ein Schreibfehler. Melonys Name lautete offiziell Melody – aber die Sekretärin der Mädchenabteilung konnte nicht gut tippen. Tatsächlich erwies sich der Tippfehler sogar als glückhafter Irrtum, denn an dem Mädchen war überhaupt nichts Melodiöses. Sie war vielleicht sechzehn (niemand kannte ihr genaues Alter), und in der Fülle ihrer Brüste wie in den Rundungen ihres Hinterns lag sehr wohl eine Andeutung von Melonen.
Auf der langen Fahrt nach Norden ängstigte sich Homer, Billy Winkle könnte ihn ebenfalls in den Pimmel kneifen. Er sah die Häuser zurückbleiben und die Tiere auf der Weide; andere Autos und selbst Holzfuhrwerke waren von den Straßen verschwunden. Bald verengte sich die Straße zu einer einzelnen Fahrspur, die meist am Wasser entlangführte; das Wasser floß schnell. Vor
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