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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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vieler medizinischer Fachausdrücke. Wie zum Beispiel Coarctatio aortae, dachte Dr. Larch. Diese kann eine relativ leichte Form eines angeborenen Herzfehlers sein, die sich zurückentwickeln kann, wenn der Patient älter wird; wenn der Patient so alt wird wie Homer, hat der Patient vielleicht überhaupt keine Herzgeräusche mehr, und nur ein geschultes Auge könnte auf einem Röntgenbild die leichte Erweiterung der Aorta erkennen.
    Das einzige Symptom bei einem leichten Fall ist vielleicht ein erhöhter Blutdruck in den oberen Extremitäten. Lerne also nicht Latein, wenn du nicht willst, dachte Wilbur Larch.
    Was den besten angeborenen Herzfehler für Homer Wells betraf, so tendierte Dr. Larch zu Pulmonalklappenstenose. »Vom Säuglingsalter an, und während seiner frühen Kindheit, hatte Homer Wells ein lautes Herzgeräusch«, schrieb Dr. Larch in die Krankengeschichte, nur um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es sich anhörte. »Ab einundzwanzig«, notierte er an anderer Stelle, »ist Homers altes Herzgeräusch nur noch schwer zu erkennen; ich stelle jedoch fest, daß die Stenose der Pulmonalklappen auf dem Röntgenbild immer noch zu sehen ist.« Sie mußte kaum erkennbar sein; das wußte er. Homers Herzfehler war nicht für jeden ersichtlich – das war der springende Punkt. Nötig war nur, daß er eben da war.
    »Lern weder Latein noch Griechisch, wenn du nicht willst«, schrieb Dr. Larch an Homer Wells. »Wir leben schließlich in einem freien Land.«
    Homer Wells begann sich zu wundern. Im selben Kuvert mit Dr. Larchs Brief lag ein Brief, den Dr. Larch ihm vom guten alten Snowy Meadows nachgesandt hatte. Nach Larchs Meinung war Snowy ein Narr, »aber ein hartnäckiger«.
    »Hallo, Homer, ich bin’s – Snowy«, fing Snowy an. Er erklärte, sein Name sei jetzt Robert Marsh – »von den Marshs aus Bangor, wir sind die große Möbelfamilie«, schrieb Snowy.
    Die Möbelfamilie? dachte Homer Wells.
    Snowy verbreitete sich bis zum Gehtnichtmehr darüber, wie er das Mädchen seiner Träume getroffen und geheiratet und wie er sich für das Möbelgeschäft und gegen das College entschieden hatte und wie glücklich er sei, aus St. Cloud’s herausgekommen zu sein; er hoffe, fügte Snowy hinzu, daß auch Homer »herausgekommen« sei.
    »Und was hört man von Fuzzy Stone?« wollte Snowy Meadows von Homer wissen. »Der alte Larch sagt, daß Fuzzy sich gut macht. Ich würde dem alten Fuzzy gern schreiben, falls du seine Adresse weißt.«
    Fuzzy Stones Adresse! dachte Homer Wells. Und was meinte der »alte Larch« damit (daß »Fuzzy sich gut macht«)? Sich gut macht – wobei? fragte sich Homer Wells, doch an Snowy Meadows schrieb er, daß Fuzzy sich tatsächlich gut mache; daß er Fuzzys Adresse momentan verlegt habe; und daß er den Apfelanbau für eine gesunde und befriedigende Arbeit halte. Homer fügte hinzu, daß er keine unmittelbaren Absichten habe, einen Besuch in Bangor zu machen; gewiß werde er die »Möbel-Marshs« aufsuchen, sollte er einmal in die Stadt kommen. Und, nein, schloß er, er könnte Snowy nicht beipflichten, daß »eine Art Ehemaligen-Treffen in St. Cloud’s« eine so tolle Idee sei; er sei sicher, schrieb er, daß Dr. Larch einen solchen Plan niemals gutheißen würde; er gestand, daß er Schwester Angela und Schwester Edna wohl vermisse, und natürlich Dr. Larch, aber sei es nicht besser, diesen Ort hinter sich zu lassen? »Ist das nicht der Sinn der Sache?« fragte Homer Wells Snowy Meadows. »Ist ein Waisenhaus nicht dazu da, daß man es hinter sich läßt?« Dann schrieb Homer an Dr. Larch.
    »Was soll das heißen, daß Fuzzy Stone ›sich gut macht‹? – Sich gut macht – wobei? Ich weiß, Snowy Meadows ist ein Idiot, aber wenn Sie ihm schon irgendwelche Sachen über Fuzzy Stone erzählen, meinen Sie dann nicht, Sie sollten sie lieber auch mir erzählen?«
    Kommt Zeit, kommt Rat, dachte Wilbur Larch müde; er fühlte sich in die Enge getrieben. Dr. Gingrich und Mrs. Goodhall hatten den Treuhänderausschuß überredet; der Ausschuß hatte verlangt, Larch möge Dr. Gingrichs Empfehlung nachkommen und einen »Erfahrungsbericht« über den Stand der Erfolge (oder Mißerfolge) jeder Waise in jeder Pflegefamilie erstellen. Sollte ihm die zusätzliche Schreibarbeit zu mühsam sein, so empfahl der Ausschuß, Mrs. Goodhalls Vorschlag aufzugreifen und eine Verwaltungshilfe einzustellen. War da nicht schon Geschichte genug, um die er sich kümmern mußte? fragte sich Dr. Larch. Er ruhte sich

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