Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Schwester Caroline, die Wunde mit weißer Kernseife und sterilem Wasser auszuwaschen. Homer konnte nicht anders – er war es gewöhnt, gegenüber Schwester Angela und Schwester Edna als Chef aufzutreten.
    »Blutdruck messen, am andern Arm«, sagte er zu Schwester Caroline, »aber die Blutdruckmanschette über eine Binde anlegen – um die Haut zu schützen«, fügte er hinzu, weil Schwester Caroline ihn neugierig anstarrte. »Die Manschette muß vielleicht eine halbe Stunde oder länger angelegt bleiben«, sagte Homer Wells.
    »Ich glaube, ich kann Schwester Caroline Anweisungen geben, falls du nichts dagegen hast«, sagte Dr. Harlow zu Homer; der Arzt und seine Schwester starrten Homer Wells an, als hätten sie ein ungewöhnliches, mit göttlichen Kräften ausgestattetes Wesen erschaut, als erwarteten sie halb, daß Homer dem reichlich blutenden Matrosen die Hand auflegte und den Blutstrom genauso rasch versiegen ließe wie zuvor die Aderpresse.
    »Sehr ordentliche Arbeit, Wells«, sagte Dr. Harlow. Homer sah zu, wie Dr. Harlow 0,5prozentige Prokainlösung in die Wunde injizierte und sie anschließend sondierte. Das Messer war handflächenseitig eingedrungen, stellte Homer Wells fest. Er erinnerte sich an seinen Gray, und er erinnerte sich an den Film, den er mit Debra Pettigrew gesehen hatte: an den Kavallerieoffizier mit dem Pfeil in der Hand, einem Pfeil, der glücklicherweise den durch die Muskeln des Daumens führenden Zweig des Medianusnervs verfehlt hatte. Er beobachtete, wie der Matrose seinen Daumen bewegte.
    Dr. Harlow guckte. »Hier verläuft ein sehr wichtiger Zweig des Medianusnervs«, sagte Dr. Harlow bedächtig zu dem verletzten Matrosen. »Sie haben Glück, daß er nicht zerschnitten ist.«
    »Das Messer hat ihn verfehlt«, sagte Homer Wells.
    »Ja, das hat es«, sagte Dr. Harlow, von der Wunde aufblickend. »Woher weißt du das?« fragte er Homer Wells, der den Daumen seiner rechten Hand emporhielt und damit wackelte.
    »Nicht nur ein Narkoseexperte, wie ich sehe«, sagte Dr. Harlow, immer noch herablassend. »Weiß auch alles über Muskeln.«
    »Nur über diesen«, sagte Homer Wells. »Ich habe mal – zum Spaß – Grays Anatomie gelesen«, fügte er hinzu.
    »Zum Spaß?« sagte Dr. Harlow. »Ich nehme an, dann weißt du auch alles über Blutgefäße. Willst du mir nicht verraten, woher all dieses Blut kommt?«
    Homer Wells spürte, wie Schwester Caroline mit der Hüfte seine Hand streifte; es war bestimmt eine wohlmeinende Berührung – Schwester Caroline mochte Dr. Harlow auch nicht besonders. Obwohl er sich Candys Mißbilligung gewiß war, konnte Homer nicht anders. »Das Blutgefäß ist ein Zweig des Palmarbogens«, sagte er.
    »Sehr gut«, sagte Dr. Harlow enttäuscht. »Und was würdest du mir als nächstes empfehlen?«
    »Es abbinden«, sagte Homer Wells. »Mit Dreier-Faden.«
    »Genau«, sagte Dr. Harlow. »Das hast du nicht aus dem Gray.« Er wies Homer Wells darauf hin, daß das Messer auch die Sehne des Flexor digitorum profundus und des Flexor digitorum sublimis zerschnitten hatte. »Und wohin könnten die führen?« fragte er Homer Wells.
    »Zum Zeigefinger«, sagte Homer.
    »Ist es nötig, beide Sehnen zu nähen?« fragte Dr. Harlow.
    »Ich weiß nicht«, sagte Homer Wells. »Ich weiß nicht viel über Sehnen«, fügte er hinzu.
    »Wie überraschend«, sagte Dr. Harlow. »Es ist nur nötig, den Profundus zu nähen«, erklärte er. »Ich werde Zweier-Seide verwenden. Ich brauche etwas Feineres, um die Sehnenenden zusammenzufügen.«
    »Vierer-Seide«, empfahl Homer Wells.
    »Sehr gut«, sagte Dr. Harlow. »Und etwas, um die palmare Fascie zu schließen?«
    »Dreier-Seide«, sagte Homer Wells.
    »Der Junge versteht etwas von chirurgischen Nähten!« sagte Dr. Harlow zu Schwester Caroline, die Homer Wells unverwandt anblickte.
    »Schließen Sie die Haut mit Vier-O-Seide«, sagte Homer, »und dann würde ich einen Druckverband auf die Handfläche empfehlen, wobei die Finger leicht um die Kompresse gebeugt liegen sollten.«
    »Das nennt man Funktionsstellung«, sagte Dr. Harlow.
    »Ich weiß nicht, wie man es nennt«, sagte Homer.
    »Warst du auf einer Medical School, Wells?« fragte ihn Dr. Harlow.
    »Nicht direkt«, sagte Homer Wells.
    »Hast du es vor?« fragte Dr. Harlow.
    »Wahrscheinlich nicht«, sagte Homer. Er versuchte jetzt, den Operationssaal zu verlassen, aber Dr. Harlow rief ihm etwas hinterher.
    »Wieso bist du nicht beim Militär?« rief er.
    »Ich habe einen

Weitere Kostenlose Bücher