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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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vom kommenden Winter in sich; Melonys Poren und die der Erde verschlossen sich so fest wie ihr enttäuschtes Herz.
    Sie erkannte den mürrischen, blaßgesichtigen Jungen nicht, der den Kunden an der Bonbontheke in Rinfrets Apotheke Eiskremsoda verkaufte, doch der junge Roy Rinfret – der einstige (und tief enttäuschte) Curly Day – erkannte Melony sofort.
    »Ich war einmal Curly Day! Erinnerst du dich an mich?« fragte Curly Melony aufgeregt. Er schob ihr eine Menge kostenloser Bonbons und Kaugummis zu und beharrte darauf, sie auf ein Eiskremsoda einzuladen. »Einen Doppelbecher, auf mich«, sagte Curly; seine Adoptiveltern hätten es mißbilligt.
    »Junge, du hast es nicht so gut getroffen«, sagte Melony zu ihm. Sie wollte nichts Kränkendes sagen mit dieser Bemerkung; es war eine Anspielung auf seine Farbe, die teigig war, und auf seine Größe – er war nicht sehr viel gewachsen. Sie hatte nichts anderes sagen wollen, doch ihre Bemerkung gab den Anstoß, daß all die angestaute Verbitterung in Curly Day aufbrach.
    »Du hast keinen Witz gemacht, ich hab’s nicht so gut getroffen«, sagte er wütend. »Ich wurde hereingelegt. Homer Wells hat die Leute geklaut, für die ich vorgesehen war.«
    Melonys Zähne waren zu schlecht, um Kaugummis zu kauen, aber sie sackte sie trotzdem ein; sie würden ein nettes Geschenk für Lorna abgeben. Melonys Zahnhöhlen heulten auf, als sie ein hartes Bonbon lutschte, aber sie mochte so etwas manchmal, trotz dieses Schmerzes – oder vielleicht gerade darum –, und sie hatte noch nie in ihrem Leben ein Eiskremsoda gegessen.
    Um seinen Abscheu vor seiner Umgebung zu demonstrieren, verspritzte Curly Day einen zähen Strahl Erdbeersirup über den Boden – allerdings erst, nachdem er sich vergewissert hatte, daß nur Melony ihn sehen konnte. Er tat so, als würde er die Düse ausprobieren, bevor er das Zeug über Melonys Eiskrem spritzte. »Es zieht Ameisen an«, erklärte er; Melony bezweifelte, daß im November noch viele Ameisen übrig waren. »Das erklären sie mir andauernd«, sagte Curly. »Verschütte nichts, es zieht Ameisen an.« Er spritzte noch ein paarmal auf den Boden. »Ich will die Ameisen dazu bringen, daß sie das Haus hier wegtragen.«
    »Bist immer noch sauer auf Homer Wells?« fragte Melony ihn hinterlistig.
    Sie erklärte, daß Curly sich einfach – bei jedem Kunden – nach Ocean View erkundigen könne. Curly hatte niemals konkret darüber nachgedacht, was er zu Homer Wells sagen oder ihm antun wollte, falls er ihm jemals wieder begegnete; er war wütend, aber er war kein rachsüchtiger Junge, und er hatte eine sehr klare Erinnerung an Melonys Gewalttätigkeit. Er wurde mißtrauisch.
    »Wozu willst du Homer finden?« fragte Curly.
    »Wozu?« fragte Melony süßlich; es war nicht ganz deutlich, ob sie sich das schon überlegt hatte. »Na, wozu würdest du ihn gerne finden, Curly?« fragte sie.
    »Na ja«, sagte Curly widerstrebend. »Ich schätze, ich würde ihn gerne wiedersehen und ihm sagen, daß ich wirklich angeschissen war, als er abgehauen ist und mich zurückgelassen hat – während ich dachte, daß ich dran wäre, und nicht er.« Während Curly darüber nachdachte, merkte er, daß er Homer einfach gern wiedersehen würde – vielleicht sein Freund werden, vielleicht Sachen zusammen machen. Er hatte Homer immer bewundert. Er fühlte sich im Stich gelassen von ihm, das war alles. Er fing an zu weinen. Melony nahm die Papierserviette, die bei ihrem Eiskremsoda gelegen hatte, und wischte Curly die Tränen ab.
    »He, ich weiß, wie dir zumute ist«, sagte sie freundlich. »Ich weiß, was du fühlst. Auch ich bin verlassen worden, weißt du. Wirklich, ich vermisse den Kerl. Ich möchte ihn einfach wiedersehen.«
    Curlys Weinen erregte die Aufmerksamkeit seines Adoptivvaters, Mr. Rinfrets, des Apothekers, der am anderen Ende der Theke stand, wo die richtigen Medikamente verkauft wurden.
    »Ich bin aus St. Cloud’s«, erklärte Melony Mr. Rinfret. »Wir standen uns dort alle sehr nah – immer wenn wir einander über den Weg laufen, dauert es ein Weilchen, bis wir uns wieder beruhigen können.« Sie umarmte Curly auf eine mütterliche, wenn auch etwas grobe Weise, und Mr. Rinfret gönnte ihnen ihre Vertraulichkeit.
    »Versuch dich zu erinnern«, flüsterte Melony, während sie den Jungen in den Armen wiegte, als würde sie ihm eine Gutenachtgeschichte erzählen.
    »Ocean View, frage nur immer wieder nach Ocean View.« Nachdem sie ihn beruhigt hatte, gab

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