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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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– Candys Zuversicht (daß Wally am Leben sei) sei nicht so stark wie Olives eigene Zuversicht. Es ist nicht ungewöhnlich, daß die Mutter eines einzigen Sohnes und die junge Frau, die die Geliebte des Sohnes ist, sich als Rivalinnen sehen.
    Schockierender (in Homers Augen) war, was er selbst offenbar fühlte. Er wußte bereits, daß er Candy liebte und sie wollte; jetzt entdeckte er, daß er – mehr sogar als sie – ihr Kind wollte.
    Sie waren schlicht eines dieser Paare, die sich in etwas hineingeritten haben und denen es bei ihren Illusionen wohler ist als bei den nackten Tatsachen.
    »Nach der Ernte«, sagte Homer zu Candy, »werden wir nach St. Cloud’s fahren. Ich werde sagen, daß sie mich dort brauchen. Das ist sowieso wahrscheinlich der Fall. Und wegen des Kriegs kümmert sich sonst niemand um sie. Du könntest deinem Daddy sagen, es sei einfach eine andere Art von Kriegsanstrengung. Wir beide könnten Olive sagen, daß wir uns verpflichtet fühlen, dort zu sein, wo wir wirklich gebraucht werden; um uns nützlicher zu machen.«
    »Möchtest du, daß ich das Baby bekomme?« fragte Candy ihn.
    »Ich möchte, daß du unser Baby bekommst«, sagte Homer Wells. »Und nachdem das Baby geboren ist und ihr beide euch erholt habt, werden wir hierher zurückkehren. Wir werden deinem Daddy und Olive sagen – oder wir werden ihnen schreiben –, daß wir uns verliebt haben und daß wir geheiratet haben.«
    »Und daß wir ein Kind gezeugt haben, bevor wir all dies taten?« fragte Candy.
    Homer Wells, der die wirklichen Sterne – hell und kalt – über der verdunkelten Küste von Maine sah, malte sich die ganze Geschichte ganz deutlich aus. »Wir werden sagen, das Baby sei adoptiert«, sagte er. »Wir werden sagen, daß wir uns noch weitergehend verpflichtet gefühlt haben – dem Waisenhaus gegenüber. Das fühle ich mich ohnehin, irgendwie«, fügte er hinzu.
    »Unser Baby ist adoptiert?« frage Candy. »Dann haben wir also ein Baby, das glaubt, es sei eine Waise?«
    »Nein«, sagte Homer. »Wir haben unser eigenes Baby, und es weiß, daß es ganz das unsere ist. Wir sagen nur, es sei adoptiert – nur um Olives willen und nur für eine Weile.«
    »Das heißt lügen«, sagte Candy.
    »Richtig«, sagte Homer Wells. »Das heißt lügen – für eine Weile.«
    »Vielleicht – wenn wir zurückkehren mit dem Baby –, vielleicht müssen wir dann gar nicht sagen, es sei adoptiert. Vielleicht können wir dann die Wahrheit sagen«, sagte Candy.
    »Vielleicht«, sagte Homer. Vielleicht kommt Zeit, vielleicht kommt Rat, dachte er.
    Er drückte seinen Mund auf ihren Nacken; er schnupperte an ihrem Haar.
    »Wenn wir dächten, daß Olive es akzeptieren könnte, wenn wir dächten, daß sie es akzeptieren könnte – das mit Wally«, fügte sie hinzu, »dann müßten wir nicht lügen wegen des Babys, daß es adoptiert sei, nicht wahr?«
    »Richtig«, sagte Homer Wells. Was sollen all diese Sorgen wegen des Lügens, fragte er sich, Candy fest umfangend, während sie leise weinte. War es denn wahr, daß Wilbur Larch keine Erinnerung hatte an Homers Mutter? War es wahr, daß Schwester Angela und Schwester Edna ebenfalls keine Erinnerung an seine Mutter hatten? Schon möglich, aber Homer Wells hätte sie niemals dafür getadelt, wenn sie gelogen hätten; sie hätten nur gelogen, um ihn zu schützen. Und wenn sie sich doch nicht an seine Mutter erinnerten und seine Mutter ein Monstrum war, war es dann nicht besser gewesen, daß sie gelogen hatten? Für Waisen ist nicht jede Wahrheit erwünscht.
    Und wenn Homer entdeckt hätte, daß Wally unter furchtbaren Schmerzen gestorben war, oder nach langem Leiden – wenn Wally gefoltert worden wäre oder verbrannt oder von einem Tier aufgefressen –, dann hätte Homer sicherlich deswegen gelogen. Wenn Homer Wells ein Privatgelehrter gewesen wäre, so wäre er ebenso ein Revisionist gewesen wie Wilbur Larch – er hätte versucht, alles gut enden zu lassen. Homer Wells, der immer zu Wilbur Larch gesagt hatte, daß er (Larch) der Arzt sei, war mehr Arzt, als er es sich eingestand. 
     
    In der ersten Nacht des Cidermachens teilte er sich die Arbeit an der Presse mit Meany Hyde und Everett Taft; Big Dot und ihre kleine Schwester Debra Pettigrew waren die Flaschenabfüller. Debra schmollte bei der Aussicht auf schmutzige Arbeit; sie klagte über das Schütten und Spritzen, und ihre Reizbarkeit wurde noch verstärkt durch die Anwesenheit von Homer Wells – Debras Verständnis dafür, daß

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