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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sie so lange gewartet; sie hatten sich so viel erhofft. Und ihnen beiden bedeutete es so viel, daß sie es sich erlaubt hatten, gemeinsam zu kommen. Gemeinsam waren ihnen Liebe und Schmerz, und keiner von beiden hätte dem anderen diesen Moment erlaubt, wäre da nicht in ihnen beiden wenigstens ein Teil gewesen, der sich mit Wallys Tod abgefunden hatte. Und nach dem Liebemachen fühlten jene Teile in ihnen, die Wallys Verlust schmerzlich empfanden, sich gezwungen, den Augenblick ehrerbietig und feierlich zu würdigen. Darum waren ihre Mienen nicht so voll von Verzückung und so frei von Sorge, wie die Mienen der meisten Liebenden es nach der Liebe sind.
    Homer Wells lag, das Gesicht in Candys Haar gedrückt, da und träumte, er sei erst jetzt angekommen am ursprünglichen Ziel des weißen Cadillac; es war ihm, als fahre Wally noch immer Candy und ihn fort von St. Cloud’s – als stünde er immer noch unter Wallys Schutz; gewiß war Wally ein wahrer Wohltäter, da er ihn sicher zu diesem Ort der Zuflucht gefahren hatte. Der Puls in Candys Schläfe, der seinen eigenen Puls leicht berührte, war so tröstlich für Homer wie das Summen der Reifen, als der große weiße Cadillac ihn aus dem Gefängnis gerettet hatte, in das er geboren war. Da war eine Träne auf Candys Gesicht; am liebsten hätte er Wally gedankt.
    Und hätte er im Dunkeln Candys Gesicht gesehen, so hätte er gewußt, daß ein Teil von ihr immer noch über Birma war. 
     
    So lange lagen sie reglos – die erste Maus, die kühn genug war, über ihre nackten Beine zu rennen, überraschte sie. Homer Wells fuhr in eine kniende Haltung hoch; es brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, daß er ein ganzes Präservativ mit allen diesen Spermien in Candy gelassen hatte. Es war Nummer 4 auf Wilbur Larchs Liste der gebräuchlichen arten des missbrauchs von präservativen.
    »Oh-oh«, sagte Homer Wells, dessen Finger flink und behutsam und geübt waren; er brauchte nur den Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand, um den verlorenen Gummi herauszufischen; auch wenn er sehr schnell war, bezweifelte er, daß er schnell genug war.
    Wegen der ausführlichen Umständlichkeit, mit der Homer Candy belehrte, schnitt sie ihm das Wort ab. »Ich glaube, ich weiß, wie ich mich duschen muß, Homer«, sagte sie.

    Und darum endete ihre erste Nacht der Leidenschaft, die sich so langsam zwischen ihnen aufgebaut hatte, in der typischen Hast der Maßnahmen, die ergriffen werden, um eine unerwünschte Schwangerschaft zu vermeiden – deren mögliche Ursache ebenfalls ziemlich typisch war.
    »Ich liebe dich«, wiederholte Homer, als er ihr einen Gutenachtkuß gab. Da war beides, Glut wie Verärgerung, in Candys Gutenachtkuß, da war beides, Wildheit und Resignation, in der Art, wie sie seine Hände umklammerte. Homer stand eine Weile auf dem Parkplatz hinter dem Hummerbassin; das einzige Geräusch war das der Luftpumpe, die frischen Sauerstoff durch den Wassertank kreisen ließ, der die Hummer am Leben erhielt.
    Die Luft auf dem Parkplatz roch nach Salzwasser und Motoröl. Die Hitze der Nacht war gewichen. Ein kühler, feuchter Nebel wälzte sich vom Meer heran; kein Wetterleuchten mehr, das auch nur schwach den Atlantik erhellt hätte.
    Es schien Homer, als habe es so viel abzuwarten gegeben in seinem Leben, und nun war da wieder etwas, was Zeit und Rat brauchte. 
     
    Wilbur Larch, der in den Siebzigern war und ein Großmeister von Maine auf dem Gebiet des Abwartens, starrte wieder einmal an die sternenfunkelnde Decke der Apotheke. Eine der Annehmlichkeiten des Äthers war, daß er den Schnüffler gelegentlich in eine Lage brachte, welche ihm den Blick aus der Vogelperspektive auf sich selbst gewährte; so kam es, daß Wilbur Larch von weitem auf ein Bild seiner selbst herablächeln durfte. Es war der Abend, an dem er die Adoption Klein Copperfields, des Lisplers, gesegnet hatte.
    »Freuen wir uns für Klein Copperfield«, hatte Dr. Larch gesagt. »Klein Copperfield hat eine Familie gefunden. Gute Nacht, Copperfield!«
    Nur war es diesmal, in der Äthererinnerung, ein freudiger Anlaß. Es hatte sogar Einstimmigkeit in den Antworten gegeben, als dirigiere Larch einen Chor von Engeln – die allesamt Copperfield fröhlich singend Lebewohl wünschten. So war es nicht gewesen. Copperfield war bei den kleinsten der Waisen besonders beliebt gewesen; er war, wie Schwester Angela sagte, ein »Verbinder« – in seiner frohgelaunten, lispelnden Gegenwart hob sich die Stimmung der

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