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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Fieken auf dem Dach!« oder »Wicksen nur im Kühlhaus!«
    Wally erzählte Homer, daß nur Mr. Rose schreiben könne; daß die Späße und Sprüche und Einkaufslisten alle von Mr. Rose stammten, doch Homer war sich nicht sicher.
    Jeden Sommer schrieb Mr. Rose an Wally, und Wally teilte Mr. Rose mit, wie viele Pflücker er brauchte – und Mr. Rose ließ ihn wissen, wie viele er mitbringen würde und an welchem Tag sie ungefähr eintreffen würden.
    Einen Vertrag hatte es nie gegeben – nur die kurzen, verläßlichen Zusicherungen von Mr. Rose.
    Manchen Sommer kam er mit einer Frau – groß und sanft und ruhig. Sie trug ein kleines Mädchen rittlings auf ihrer Hüfte. Um die Zeit, als das Mädchen herumlaufen und in Schwierigkeiten geraten konnte (es war ungefähr in Angels Alter), brachte Mr. Rose die Frau und das Mädchen nicht mehr mit.
    Der einzige Arbeiter seit fünfzehn Jahren, der so beständig wiederkam wie Mr. Rose, war Black Pan, der Koch.
    »Was macht Ihr kleines Mädchen«, pflegte Homer Wells Mr. Rose zu fragen, immer wenn er ohne Frau und Tochter ankam.
    »Sie wächst, wie dein Junge«, pflegte Mr. Rose zu sagen.
    »Und was macht Ihre Frau Gemahlin?« pflegte Homer zu fragen.
    »Sie kümmert sich um das kleine Mädchen«, pflegte Mr. Rose zu sagen.
    Nur einmal in fünfzehn Jahren sprach Homer Wells allerdings Mr. Rose auf die Regeln im Ciderhaus an. »Ich hoffe, sie kränken niemand«, setzte Homer an. »Ich bin verantwortlich – ich schreibe sie, jedes Jahr –, und falls sich jemand gekränkt fühlen sollte, sagen Sie es mir hoffentlich.«
    »Keine Kränkung«, sagte Mr. Rose lächelnd.
    »Es sind nur kleine Spielregeln«, sagte Homer.
    »Ja«, sagte Mr. Rose. »In der Tat.«
    »Aber es macht mir Sorgen, daß ihnen niemand Beachtung zu schenken scheint«, sagte Homer schließlich.
    Mr. Rose, dessen höfliches Gesicht all die Jahre über unverändert, dessen Körper dünn und geschmeidig geblieben war, schaute Homer nachsichtig an.
    »Wir haben doch auch unsere eigenen Spielregeln, Homer«, sagte er.
    »Ihre eigenen Spielregeln«, sagte Homer Wells.
    »Für ’ne Menge Sachen«, sagte Mr. Rose. »Zum Beispiel, wie weit wir uns einlassen dürfen mit euch.«
    »Mit mir?« sagte Homer.
    »Mit Weißen«, sagte Mr. Rose. »Wir haben unsere eigenen Spielregeln dafür.«
    »Ich verstehe«, sagte Homer, aber er verstand eigentlich nicht.
    »Und fürs Kämpfen«, sagte Mr. Rose.
    »Das Kämpfen«, sagte Homer Wells.
    »Untereinander«, sagte Mr. Rose. »Eine Regel ist, wir dürfen einander nicht schlimm verwunden. Nicht schlimm genug für kein Spital, nicht schlimm genug für keine Polizei. Wir dürfen einander verwunden, aber nicht schlimm.«
    »Ich verstehe«, sagte Homer.
    »Nein, tust du nicht«, sagte Mr. Rose. »Du verstehst nicht – das ist der springende Punkt. Wir dürfen einander nur so schlimm verwunden, daß ihr es nie seht – ihr wißt es nie, wenn wir verwundet sind. Verstehst du?«
    »Richtig«, sagte Homer Wells.
    »Wann wirst du mal was anderes sagen?« fragte Mr. Rose lächelnd.
    »Seien Sie nur vorsichtig auf dem Dach«, empfahl ihm Homer.
    »Da oben kann doch nichts Schlimmes passieren«, sagte Mr. Rose zu ihm. »Die schlimmen Dinge passieren am Boden.«
    Homer Wells war schon wieder im Begriff, »richtig« zu sagen, als er merkte, daß er nicht sprechen konnte; Mr. Rose hatte seine Zunge zwischen seinen stumpfen, kantig auslaufenden Zeigefinger und seinen Daumen genommen. Ein unbestimmter Geschmack, wie Staub, war in Homers Mund. Mr. Roses Hand war so schnell gewesen, wie Homer es noch nie gesehen hatte – er hätte es nicht für möglich gehalten, daß ein Mensch tatsächlich einem anderen die Zunge festhalten konnte.
    »Hab ich dich erwischt«, sagte Mr. Rose lächelnd und ließ Homers Zunge los.
    Homer brachte heraus: »Sie sind aber sehr schnell.«
    »Richtig«, sagte Mr. Rose munter. »Niemand ist schneller.«
    Wally beklagte sich bei Homer über den alljährlichen Verschleiß auf dem Dach des Ciderhauses. Alle zwei bis drei Jahre mußte das Blechdach erneuert oder die Schutzschicht geflickt oder eine neue Rinne angebracht werden.
    »Was haben seine eigenen Spielregeln damit zu tun, daß sie unsere nicht beachten?« fragte Wally Homer.
    »Ich weiß nicht«, sagte Homer. »Schreib ihm einen Brief und frag ihn.«
    Aber niemand wollte Mr. Rose kränken; er war ein zuverlässiger Mannschaftsboss. Er sorgte dafür, daß das Pflücken und Pressen bei jeder Ernte immer wieder glatt

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