Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
die allein lebten. Das war nicht normal. Und sie verachtete junge Paare, die ihre Zuneigung bekundeten, oder nicht verheiratet waren, oder beides. Zu viel Normalität brachte sie ebenfalls in Rage. Obwohl er Mrs. Goodhalls Wunsch teilte, Dr. Larch und seine Mitarbeiterinnen in St. Cloud’s abzulösen, verfiel Dr. Gingrich auf den Gedanken, daß Mrs. Goodhall eine gute Patientin für ihn abgäbe – sie hätte ihn noch ein paar weitere Jahre vor dem Ruhestand bewahren können.
    Als das junge Paar ins Hotel zurückkam, warf Mrs. Goodhall den beiden einen derartigen Blick zu, daß die junge Frau sich abwandte.
    »Haben Sie gesehen, wie sie sich schamvoll abwandte?« sollte Mrs. Goodhall Dr. Gingrich später fragen.
    Der junge Mann dagegen hielt ihrem Blick stand. Er hat direkt durch sie hindurchgeblickt! wunderte sich Dr. Gingrich. Einen so guten Blick von der Sorte, die »töten könnten«, hatte Dr. Gingrich selten gesehen, und er ertappte sich dabei, wie er dem jungen Paar zulächelte.
    »Hast du dieses Paar gesehen?« fragte Candy später, auf der langen Fahrt zurück nach Ocean View.
    »Ich glaube nicht, daß sie verheiratet sind«, sagte Homer Wells. »Oder falls doch, hassen sie sich.«
    »Vielleicht habe ich gerade deshalb gedacht, daß sie verheiratet sind«, sagte Candy.
    »Er sah ein bißchen blöde aus, und sie wirkte völlig verrückt«, sagte Homer.
    »Und ich bin sicher, sie waren verheiratet«, sagte Candy.
    Während draußen der Regen niederprasselte, erklärte Mrs. Goodhall in dem trostlosen schmuddeligen Speisesaal in Ogunquit: »Es ist einfach nicht normal. Doktor Larch, diese alten Krankenschwestern – die ganze Sache. Wenn nicht bald jemand Neues, egal, von welchem Fach, eingestellt wird, würde ich sagen, wir schicken einen Hausmeister hin – einfach jemanden, der das Haus kontrollieren und uns sagen kann, wie schlimm es ist.«
    »Vielleicht ist es nicht so schlimm, wie wir glauben«, sagte Dr. Gingrich erschöpft. Er hatte das junge Paar das Hotel verlassen sehen, und sie hatten ihn melancholisch gestimmt.
    »Jemand sollte hinfahren und nachsehen«, sagte Mrs. Goodhall. Der dunkle Kandelaber thronte über ihrem kleinen grauen Kopf.
    Dann kam – gerade rechtzeitig, wie alle fanden – eine neue Krankenschwester nach St. Cloud’s. Erstaunlicherweise hatte sie sich anscheinend von sich aus über das Haus informiert: sie hieß Schwester Caroline; sie machte sich dauernd nützlich und war auch eine große Hilfe, als Melonys Geschenk für Mrs. Grogan eintraf.
    »Was ist das?« fragte Mrs. Grogan. Der Karton war beinah zu schwer für sie, um ihn hochzuheben; Schwester Edna und Schwester Angela hatten ihn gemeinsam in die Mädchenabteilung herübergeschleppt. Es war ein drückendheißer Sommernachmittag; dennoch hatte Schwester Edna, weil es ein vollkommen windstiller Tag war, die Apfelbäumchen gespritzt.
    Dr. Larch kam in die Mädchenabteilung, um zu sehen, was in dem Paket war.
    »Na, kommen Sie, machen Sie’s auf«, sagte er zu Mrs. Grogan. »Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.«
    Mrs. Grogan wußte nicht recht, wie sie den Karton aufmachen sollte, der mit Draht und Zwirn und Klebeband verschlossen war – als habe irgendein Grobian versucht, ein wildes Tier einzusperren. Schwester Caroline wurde zu Hilfe gerufen.
    Was würden sie tun ohne Schwester Caroline? fragte sich Larch. Vor dem Paket für Mrs. Grogan war Schwester Caroline das einzige größere Geschenk gewesen, das jemals nach St. Cloud’s geschickt worden war. Homer Wells hatte sie vom Spital in Cape Kenneth geschickt. Er wußte, daß Schwester Caroline für das Werk des Herrn war, und er hatte sie überredet, dorthin zu gehen, wo ihre Hingabe willkommen sein würde. Doch Schwester Caroline hatte Schwierigkeiten, Melonys Geschenk zu öffnen.
    »Wer hat es abgegeben?« fragte Mrs. Grogan.
    »Eine Frau namens Lorna«, sagte Schwester Angela. »Ich habe sie noch nie gesehen.«
    »Ich habe sie auch noch nie gesehen«, sagte Wilbur Larch.
    Als das Paket geöffnet war, blieb die Sache rätselhaft. Es enthielt einen riesigen Mantel, der Mrs. Grogan viel zu groß war. Ein Mantel aus Armeebeständen, gefertigt für den Dienst in Alaska, und er hatte eine Kapuze und einen Pelzkragen und war so schwer, daß er, als Mrs. Grogan ihn anprobierte, sie beinah zu Boden zog – sie kam etwas aus dem Gleichgewicht und wankte wie ein Kreisel, der seinen Schwung verliert. Der Mantel hatte alle Arten von Geheimtaschen, die wahrscheinlich für Waffen oder

Weitere Kostenlose Bücher