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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Vater, Homer Wells, besaß kein Auto. Wenn Homer zum Einkaufen in die Stadt fuhr oder wenn er im Spital von Cape Kenneth aushalf, benutzte er eines der Farmfahrzeuge. Der alte Cadillac, der mit einer Handbremse und einem Handgashebel ausgerüstet worden war, damit Wally ihn fahren konnte, war oft frei, und Candy hatte ihr eigenes Auto – einen zitronengelben Jeep, auf dem sie Angel das Autofahren beigebracht hatte und der in den Obstgärten wie auf den öffentlichen Straßen zuverlässig und robust war.
    »Ich habe deinem Vater das Schwimmen beigebracht«, sagte Candy stets zu Angel. »Da werde ich dir auch das Autofahren beibringen können.«
    Natürlich konnte Angel auch mit allen anderen Farmfahrzeugen umgehen. Er konnte mähen und spritzen und einen Gabelstapler bedienen. Der Führerschein war einfach notwendig, die offizielle Anerkennung für etwas, was Angel auf der Farm schon sehr gut machte.
    Er wirkte viel älter als fünfzehn. Er hätte überall in Maine herumfahren können, ohne daß ihn jemand auf sein Alter angesprochen hätte. Er würde einmal größer sein als sein jungenhafter, rundgesichtiger Vater – am Anfang dieses Sommers waren sie genau gleich groß – und die ausgeprägte Eckigkeit seiner Gesichtsknochen ließ ihn bereits erwachsen aussehen; sogar die Spur eines Bartes war da. Die Schatten unter seinen Augen wirkten nicht ungesund; sie betonten lediglich das lebhafte Dunkel seiner Augen. Es war ein Scherz zwischen Vater und Sohn: daß die Schatten unter Angels Augen »ererbt« wären. »Du hast deine Schlaflosigkeit von mir«, pflegte Homer Wells zu seinem Sohn zu sagen, der immer noch glaubte, er sei adoptiert. »Du hast keinen Grund, dich adoptiert zu fühlen«, hatte sein Vater zu ihm gesagt. »Du hast eigentlich drei Eltern. Das Äußerste, was die meisten Menschen haben, sind zwei.«
    Candy war wie eine Mutter zu ihm gewesen, und Wally war ein zweiter Vater – oder doch der wunderliche Lieblingsonkel. Angel kannte kein anderes Leben als das mit ihnen dreien. Mit fünfzehn hatte er noch kein einziges Mal in ein anderes Zimmer ziehen müssen; alles war gleich geblieben, soweit er sich erinnern konnte.
    Er hatte das Zimmer, das einmal Wallys Zimmer gewesen war, jenes, das Wally mit Homer geteilt hatte. Angel war in ein richtiges Jungenzimmer geboren: er war aufgewachsen, umgeben von Wallys Tennis- und Schwimmpokalen und den Bildern von Candy mit Wally (als Wallys Beine noch funktionierten) und auch dem Bild von Candy, wie sie Homer das Schwimmen beibrachte. Wallys Purple Heart (das Wally Angel geschenkt hatte) hing an der Wand über dem Bett des Jungen; es verdeckte einen sonderbar verschmierten Fingerabdruck – Olives Fingerabdruck aus der Nacht, als sie einen Moskito gegen diese Wand geklatscht hatte, derselben Nacht, in der Angel Wells im Ciderhaus gezeugt worden war. Nach fünfzehn Jahren brauchte die Wand einen frischen Anstrich.
    Homers Zimmer am anderen Ende des Korridors war das Elternschlafzimmer gewesen; es war Olives Zimmer gewesen und das Zimmer, wo Senior starb. Olive selbst war im Spital von Cape Kenneth gestorben, bevor der Krieg zu Ende, noch bevor Wally nach Hause geschickt worden war. Es war inoperabler Krebs, der sich sehr schnell ausbreitete, nachdem man Gewebeproben entnommen hatte.
    Homer und Candy und Ray hatten sie abwechselnd besucht; einer von ihnen war immer bei Angel geblieben, doch Olive war niemals allein. Homer und Candy hatten – insgeheim, nur zueinander – gesagt, daß die Dinge vielleicht anders gekommen wären, wenn Wally es heim in die Staaten geschafft hätte, bevor Olive starb. Wegen Wallys kritischen Zustands und wegen der zusätzlichen Schwierigkeit, ihn in Kriegszeiten zu transportieren, hatte man es für das beste gehalten, Wally nichts von Olives Krebs zu sagen; so hatte es Olive auch gewollt.
    Am Schluß glaubte Olive, Wally sei heimgekehrt. Sie war so vollgepumpt mit Schmerzmitteln, daß sie Homer bei seinen letzten Besuchen für Wally hielt. Homer hatte sich angewöhnt, ihr vorzulesen – aus Jane Eyre, aus David Copperfield und aus Große Erwartungen –, aber er legte das Buch weg, wenn Olives Gedanken abzuschweifen begannen. Die ersten Male, als Olive Homer mit Wally verwechselte, war Homer nicht sicher, wen sie anzusprechen glaubte.
    »Du mußt ihm verzeihen«, sagte Olive. Sie sprach schleppend. Sie nahm Homers Hand, die sie eigentlich weniger festhielt als auf ihrem Schoß barg.
    »Ihm verzeihen?« sagte Homer Wells.
    »Ja«, sagte

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