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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Regeln bezüglich Wallys (es gab immer Regeln, hatte Angel beobachtet). Egal, wie gut Wally schwimmen konnte, er durfte nie allein schwimmen, und seit vielen Sommern war Angel Wells jetzt schon sein Rettungsschwimmer, wann immer Wally sich von den Wellen tragen ließ oder nur im Swimmingpool plätscherte. Beinah die Hälfte des physischen Kontakts zwischen Wally und Angel fand im Wasser statt, wo sie zwei Fischottern oder Robben glichen. Sie rangen miteinander und tunkten einander unter Wasser, so daß Candy manchmal Angst um alle beide bekam.
    Und Wally durfte nicht allein Auto fahren; zwar hatte der Cadillac eine Handkupplung und Handbremsen, aber jemand anders mußte den Rollstuhl zusammenklappen und ihn einladen oder aus dem Wagenfond herausheben. Die ersten faltbaren Rollstühle waren ziemlich schwer. Und obwohl Wally sich manchmal mit Hilfe einer dieser eisernen Gehhilfen durchs Erdgeschoß des Hauses schleppte, waren seine Beine nicht mehr als Attrappen; in unvertrautem Gelände brauchte er seinen Rollstuhl – und in unebenem Gelände brauchte er jemanden, der ihn schob.
    Oft war es Angel, der ihn schob; und oft war Angel der Beifahrer im Cadillac. Homer und Candy hätten vielleicht geschimpft, wenn sie es gewußt hätten, aber Wally hatte Angel schon vor langer Zeit beigebracht, den Cadillac zu fahren.
    »Die Handarmaturen machen es leicht, Jungchen«, pflegte Wally zu sagen. »Deine Beine brauchen nicht lang genug zu sein, um die Pedale zu erreichen.« Candy hatte zu Angel zum Thema Fahrenlernen im Jeep etwas ganz anderes gesagt. »Sobald deine Beine lang genug für die Pedale sind«, hatte sie zu ihm gesagt und ihn geküßt (was sie tat, sooft sie einen Vorwand fand), »werde ich dir das Autofahren beibringen.«
    Als es schließlich soweit war, kam es Candy niemals in den Sinn, daß Angel so leicht Auto fahren lernte, weil er seit Jahren den Cadillac gefahren hatte.
    »Manche Regeln sind gute Regeln, Jungchen«, pflegte Wally zu dem Jungen zu sagen und ihn zu küssen (was Wally ausgiebig tat, besonders im Wasser). »Aber manche Regeln sind nichts als Regeln. Die mußt du möglichst vorsichtig übertreten.«
    »Es ist blöd, daß ich erst mit sechzehn den Führerschein bekommen kann«, sagte Angel zu seinem Vater.
    »Richtig«, sagte Homer Wells. »Man sollte Ausnahmen machen für Kinder, die auf einer Farm aufwachsen.«
    Manchmal spielte Angel Tennis mit Candy, aber öfter schlug er mit Wally Bälle übers Netz, der sogar noch im Sitzen einen guten Aufschlag hatte. Die Clubmitglieder hatten ein wenig gejammert über die Rollstuhlspuren auf dem Platz – doch was wäre der Haven-Club gewesen, ohne daß er die eine oder andere Worthingtonsche Wunderlichkeit geduldet hätte? Wally pflegte im Rollstuhl auf der Stelle zu sitzen und fünfzehn bis zwanzig Minuten lang nur Vorhände zu schlagen; Angel hatte die Aufgabe, ihm die Bälle genau zuzuspielen. Dann stellte Wally seinen Rollstuhl um und schlug nur Rückhände.
    »Eigentlich ist’s ein besseres Training für dich als für mich, Jungchen«, pflegte Wally zu Angel zu sagen. »Zumindest werde ich nicht besser.« Angel wurde viel besser; er war so viel besser als Candy, daß es seine Mutter manchmal kränkte, wenn sie merkte, wie langweilig es für Angel war, mit ihr Tennis zu spielen.
    Homer Wells spielte nicht Tennis. Er hatte nie viel für Sport übrig gehabt und hatte sich sogar dem Hallenfußball in St. Cloud’s widersetzt – auch wenn er manchmal von Schlagball träumte, meist mit Schwester Angela als Werferin; bei ihr war’s immer am schwersten, den Ball zu treffen. Und Homer Wells hatte keine Hobbys – außer Angel auf Schritt und Tritt zu folgen, als sei Homer das Schoßtier seines Sohnes, ein Hund, der nur darauf wartet, daß man mit ihm spielt. Kopfkissenschlachten im Dunkeln; sie waren jahrelang beliebt. Einander einen Gutenachtkuß geben und dann Vorwände finden, um das Ritual zu wiederholen – und neue Arten und Weisen finden, einander morgens aufzuwecken. Wenn Homer sich langweilte, so wußte er sich auch zu beschäftigen. Er hatte seine freiwillige Arbeit am Spital von Cape Kenneth beibehalten; in gewissem Sinne hatte er nie aufgehört mit seinen Kriegsanstrengungen, seinem Dienst als Hilfspfleger. Und er war ein alter Hase in Sachen medizinischer Fachliteratur. Das Journal of the American Medical Association und das New England Journal of Medicine hatten es auf Tischen und Bücherregalen im Hause von Ocean View zu sehr ansehnlichen

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