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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wurde; sie ging auf die fünfzig zu. Sie hatte Herb nie geheiratet (sie war nie gefragt worden) und doch den matronenhaften Charme und die Gesten einer Ehefrau entwickelt. Herb Fowler war immer noch ein sehr plumper, sehr abgeschmackter Witzemacher (über die Gummis); er war einer von jenen hageren grauen Männern um die Sechzig, mit einem (für einen so hageren Burschen) ungeheuerlichen Spitzbauch; er trug seinen Wanst wie eine Diebesbeute und dürftig unter seinem Hemd versteckt. Und Meany Hyde war rundherum fett und kahl und freundlich wie immer; Florence, seine Frau, und die dicke Dot Taft regierten immer noch den Hühnerhof auf dem Apfelmarkt. Nur zeitweilig ernüchtert durch Grace Lynchs Tod, brachten die beiden Frauen (mit ihren schenkelstarken Oberarmen) Irene Titcomb (die immer noch ihre Gesichtshälfte mit dem Brandmal abwandte) immer noch zum Kichern. Everett Taft, der ein sehr milder Vorarbeiter war, schien erleichtert, daß Homer jetzt das Anheuern übernommen hatte und daß er die Bürde los war, zur Erntezeit Hilfskräfte anzuheuern. Vernon Lynchs Verbitterung war so gewaltig, daß sie sich nicht auf Einzelheiten beschränkte – auf Homers verantwortliche Stellung etwa oder auf Graces Tod. Es war einfach eine alles beherrschende Wut – brodelnd und stetig und ungemindert durch die Verheerungen von Vernons mehr als sechzig Jahren.
    Homer Wells behauptete, daß Vernon Lynch einen unveränderlichen Hirntumor hätte; er wachse nicht, er bewirke immer den gleichen Druck und den gleichen Konflikt. »Er ist einfach da, wie das Wetter, hm?« alberte Ira Titcomb, der Bienenhalter, mit Homer. Ira war fünfundsechzig, und er hatte wieder eine Zahl auf dem Anhänger notiert, den er zum Transportieren seiner Bienenstöcke benutzte: wie oft er von seinen Bienen gestochen worden war.
    »Nur zweihunderteinundvierzigmal«, sagte Ira. »Ich habe Bienen gehalten, seit ich neunzehn war. Macht insgesamt also nur fünf Komma zwei Stiche im Jahr. Ziemlich gut, hm?« fragte Ira Homer.
    »Richtig«, murmelte Homer Wells und duckte sich vor dem erwarteten Faustschlag, zog den Kopf ein vor dem Baseball, der ihm mit der Schnelligkeit von Mr. Roses Messerkunst ins Gesicht pfeifen würde.
    Homer führte natürlich seine eigene Rechnung. Wie oft er mit Candy geschlafen hatte, seit Wally aus dem Krieg heimgekehrt war, wurde jeweils mit Bleistift auf der Rückseite der Photographie von Wally mit der Besatzung der Die Chance klopft an notiert (und dann ausradiert und neu geschrieben). Zweihundertsiebzig – nur einige Male mehr, als Ira Titcomb von Bienen gestochen worden war. Homer wußte allerdings nicht, daß auch Candy ein Konto führte – ebenfalls mit Bleistift schrieb sie »270« auf die Rückseite eines Photos von ihr, auf dem zu sehen war, wie sie Homer schwimmen lehrte. Sie bewahrte die Photographie beinah nachlässig im Badezimmer auf, das sie sich mit Wally teilte, wo die Photographie von einer Schachtel Kleenex oder einer Flasche Shampoo immer halb verdeckt war. Es war ein unordentlich vollgestopftes Badezimmer, das Olive zweckdienlich eingerichtet hatte, bevor sie starb und bevor Wally heimkehrte; es hatte die bequemen Handgriffe, die Wally brauchte, um die Toilette zu benutzen und in die Badewanne zu steigen.
    »Es ist das Standard-Krüppelbadezimmer«, pflegte Wally zu sagen. »Ein Affe würde sich gut amüsieren hier drinnen. Hier kann man sich wunderbar hin und her schwingen.«
    Und einmal diesen Sommer, auf dem Rückweg vom Strand, hatten sie das Auto auf dem Spielplatz der Grundschule in Heart’s Haven geparkt. Wally und Angel wollten auf dem Dschungelturngerät spielen. Angel war sehr gewandt auf dem Ding, und Wallys Arme waren so kräftig trainiert, daß er sich mit einer beunruhigend affenartigen Kraft und Anmut hindurchbewegen konnte. Wie Affen brüllten die beiden zu Homer und Candy herüber, die im Auto warteten.
    »Unsere beiden Kinder«, hatte Homer zur Liebe seines Lebens gesagt.
    »Ja, unsere Familie«, hatte Candy lächelnd erwidert und dabei Wally und Angel beobachtet, wie sie kletterten und schwangen, kletterten und schwangen.
    »Es ist besser für sie, als fernzusehen«, sagte Homer Wells, der sich Wally und Angel stets als Kinder dachte.
    Homer und Candy waren sich einig, daß Wally zuviel fernsah, was ein schlechter Einfluß auf Angel war, der gern mit ihm guckte.
    Vor lauter Fernsehbegeisterung hatte Wally Homer sogar ein Fernsehgerät geschenkt, das er nach St. Cloud’s bringen sollte.

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