Gottes Werk und Teufels Beitrag
holen, ging Candy eben durch die Küchentür. Die Fliegengittertür knallte.
»Ach, geh schon!« rief Wally hinter ihr her. »Natürlich sehen wir, was du meinst!«
Und das war der Moment, als Homer es sagte. Er spuckte etwas Wasser aus und sagte zu Angel: »Lauf und sag deiner Mutter, wenn sie etwas anderes anzieht, nehmen wir sie mit zum Strand.«
Angel war schon halbwegs beim Haus, bis Homer begriff, was er gesagt hatte, und Wally Angel noch hinterherrief: »Sag ihr auch, sie soll eine andere Laune mitbringen.«
Während Angel in die Küche lief, sagte Wally: »Ich glaube, er hat nicht einmal gemerkt, was du gesagt hast, alter Junge.«
»Es ist nur, weil sie doch so eine gute Mutter für ihn ist – ich kann nicht anders, ich sehe sie so«, sagte Homer.
»Ich bin sicher, daß es schwer ist«, sagte Wally, »sie nicht so zu sehen, wie man sie sehen möchte.«
»Was?« fragte Homer.
»Sie ist doch ziemlich dominant, oder?« fragte ihn Wally. Homer ging wieder mit dem Kopf unter Wasser – es war ein kühler Ort, um nachzudenken.
»Dominant?« sagte er, als er auftauchte.
»Nun, irgendeiner muß doch wissen, was zu tun ist«, sagte Wally. »Einer muß doch die Entscheidungen treffen.«
Homer Wells, der das Wort »Richtig« in sich aufsteigen fühlte wie ein unaufhaltsam vom Beckenboden aufsteigendes Bläschen, legte seine Hand auf den Mund und sah Wally an, der mit durchgedrücktem Rücken auf der Rasenkuppe saß, den Baseballhandschuh auf dem Schoß, den Baseball in der Hand, seinen Wurfarm erhoben. Homer Wells wußte, daß der Ball, wäre ihm das Wort entschlüpft, zu ihm gesaust wäre, kaum daß das Wort in der Luft hing – und wahrscheinlich, bevor Homer wieder unter Wasser tauchen konnte.
»Sie weiß, was sie will«, sagte Homer Wells.
»Das wußte sie schon immer«, sagte Wally. »Und sie altert mit Anstand, findest du nicht?«
»Ja, wirklich«, sagte Homer und kletterte aus dem Swimmingpool. Er vergrub sein nasses Gesicht in einem Handtuch. Mit geschlossenen Augen hatte er das feine Gitterwerk der Fältchen in Candys Augenwinkeln vor sich, und die Sommersprossen auf ihrer Brust, wo sie sich im Laufe der Jahre zuviel Sonne gegönnt hatte. Er sah auch die wenigen, aber tieferen Falten, die sich quer über ihren sonst straffen Unterleib zogen; es waren Dehnungsstreifen, wie Homer wußte; er fragte sich, ob Wally wußte, woher sie kamen. Und da waren die Adern, die auf Candys schmalen Handrücken nun etwas stärker hervortraten, aber sie war noch immer eine schöne Frau.
Als Angel und Candy aus dem Haus kamen – bereit, zum Strand zu fahren –, beobachtete Homer seinen Sohn genau, um zu sehen, ob Angel gemerkt hatte, daß Homer Candy als »deine Mutter« bezeichnet hatte, doch Angel war wie immer, und Homer konnte nicht sagen, ob Angel den Lapsus erfaßt hatte. Homer fragte sich, ob er Candy erzählen sollte, daß Wally ihn erfaßt hatte.
Sie nahmen Candys zitronengelben Jeep. Candy fuhr; Wally saß vorne auf dem bequemen Sitz, und Homer und Angel teilten sich die Rückbank. Den ganzen Weg zum Strand schaute Wally nur angespannt aus dem Fenster, als sähe er die Straße zwischen Heart’s Rock und Heart’s Haven zum erstenmal. Als wäre Wally, so dachte Homer Wells, gerade aus einem Flugzeug über Birma abgesprungen, als wäre sein Fallschirm eben aufgegangen und als suchte er jetzt einen Platz zum Landen.
Zum erstenmal wußte Homer mit Gewißheit, daß Candy recht hatte.
Er weiß es, dachte Homer. Wally weiß es. Der Apfelmarkt veränderte sich nie. Auch er war eine Familie. Nur Debra Pettigrew war fort; Big Dot Tafts kleine Schwester hatte einen Mann aus New Hampshire geheiratet und kam nur noch an Weihnachten zurück nach Heart’s Rock. Jedes Weihnachten nahm Homer Wells Angel mit nach St. Cloud’s. Sie aßen ein frühes Weihnachtsfrühstück mit Candy und Wally und packten eine Menge Geschenke aus; dann nahmen sie noch eine Menge mehr Geschenke mit nach St. Cloud’s. Sie trafen meistens spätnachmittags oder am frühen Abend ein und feierten Weihnachten mit ihnen allen. Wie weinte da Schwester Angela! Schwester Edna weinte, wenn sie wieder fuhren. Dr. Larch war freundlich, aber reserviert.
Der Apfelmarkt war beinah so unveränderlich wie St. Cloud’s – in mancher Hinsicht sogar noch unveränderlicher, weil die Leute dieselben blieben, während die Waisen in St. Cloud’s dauernd wechselten.
Herb Fowler ging immer noch mit Louise Tobey, die immer noch Drück-mich-Louise genannt
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