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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Sex idealerweise ist, war Homer der Meinung, daß Sex wenig zu tun habe mit Liebe; daß Liebe viel konzentrierter und fühlbarer sei in Momenten der Zärtlichkeit und der Fürsorge. Es war (zum Beispiel) Jahre her, daß er Candy im Schlaf gesehen oder sie geweckt hatte; Jahre, seit er sie hatte einschlafen sehen und wach geblieben war, um sie anzuschauen.
    Seine Zärtlichkeit bewahrte er sich für Angel auf. Als Angel noch kleiner gewesen war, waren Homer und Candy sich manchmal im Dunkel von Angels Zimmer begegnet, und sie erlebten sogar ein paar Abende des stillen Staunens, das Eltern ergreift, wenn sie ihre Kinder im Schlaf beobachten. Doch Homer war an vielen Abenden im Doppelbett neben Angels Bett eingeschlafen, während er nur auf den Atem seines Sohnes lauschte; immerhin hatte Homer seine ganze Kindheit lang in einem Saal einzuschlafen versucht, wo eine ganze Schar kleiner Kinder lag und atmete.
    Und welches Gefühl mochte denn stärker von Liebe erfüllt sein, als ein Kind morgens zu wecken, von Liebe, aber auch von Bangigkeit, so überlegte Homer. Für Angel empfand er solche Liebe, während Candy derartige Augenblikke wohl mit Wally erlebte. Die Freuden einer Waise sind einigermaßen festgelegt. In St. Cloud’s etwa war es am besten, frühmorgens hungrig zu sein; die Eierkuchen gingen nie aus. Es gab Sex, was gutes Wetter (und natürlich Melony) voraussetzte; es gab Akte von Vandalismus und Landstreicherei (wiederum Melony, bei jedem Wetter), es gab einsame Akte und Augenblicke der Reflexion, die nur eintreten konnten, wenn es regnete (und nur ohne Melony). Sosehr Homer sich eine Familie ersehnte, war er doch nicht geübt darin, die Vielseitigkeit einer Familie zu würdigen.
    An einem heißen und trägen Sonnabendnachmittag im Juli plätscherte Homer im Swimmingpool; er war den ganzen Morgen in den Obstgärten gewesen, um die jungen Bäume zu mulchen. Angel hatte mit ihm gearbeitet, und jetzt war Angel schon aus dem Becken gesprungen, aber immer noch tropfnaß; er schleuderte mit Wally einen Baseball hin und her. Wally saß auf dem Rasen, auf einer kleinen Kuppe neben dem Swimmingpool, und Angel stand auf den Fliesen. Sie warfen den harten Ball hin und her, ohne zu sprechen, ganz konzentriert auf ihre Würfe. Wally feuerte den Ball mit beträchtlicher Wucht dafür, daß er im Sitzen spielte, doch Angel hatte mehr Saft hinter dem Ball. Der Ball klatschte satt in ihre dicken Handschuhe.
    Candy kam vom Büro des Apfelmarktes zum Pool herüber. Sie trug ihre Arbeitskleidung – Bluejeans, ein Khaki-Militärhemd mit übergroßen Taschen und Epauletten, Arbeitsstiefel, eine Baseballkappe der Boston Red-Sox mit nach hinten gedrehtem Schirm. (Es war ihr wichtiger, ihr blondes Haar vor der Sonne zu schützen als ihr Gesicht, weil es im Sommer noch heller werden konnte und dann ihre grauen Strähnen stärker hervortraten.)
    »Ich weiß, die Männer sind Samstag mittag aus den Gärten verschwunden«, sagte sie, die Hände auf den Hüften, »aber die Frauen arbeiten im Markt bis drei.«
    Homer hörte auf zu plätschern; er ließ seine Füße auf den Boden sinken, stand brusttief im Becken und schaute Candy an. Wally sah kurz über die Schulter nach ihr und feuerte dann den Ball zu Angel, der ihn zurückschoß.
    »Bitte wartet einmal mit dem Ball, solange ich etwas zu sagen versuche«, sagte Candy.
    Wally hielt den Ball fest. »Was versuchst du zu sagen?« fragte er.
    »Ich finde, ihr solltet am Sonnabend, solange noch Leute im Markt arbeiten, darauf verzichten, am Swimmingpool zu spielen – alle können euch hören, und ich glaube, es färbt irgendwie ab.«
    »Was färbt wo ab?« fragte Angel.
    »Daß ihr spielen und im Puppenhaus wohnen dürft, wie sie es nennen, und sie müssen arbeiten«, sagte Candy.
    »Pete arbeitet nicht«, sagte Angel. »Pete ist per Anhalter zum Strand gefahren.«
    »Pete Hyde ist ein Kind«, sagte Candy. »Seine Mutter arbeitet noch.«
    »Nun, ich bin auch ein Kind, oder nicht?« fragte Angel schelmisch.
    »Na gut, ich meine nicht ausgerechnet dich«, sagte Candy. »Was ist mit euch beiden?« fragte sie Homer und Wally.
    »Ich bin wohl auch ein Kind«, sagte Wally und warf den Ball zu Angel zurück. »Ich spiele ohnehin nur den ganzen Tag.« Angel lachte und warf den Ball hinüber, doch Homer Wells blickte Candy vom Wasser aus finster an.
    »Siehst du, was ich meine, Homer?« fragte ihn Candy. Homer tauchte unter Wasser; er hielt den Atem ein Weilchen an, und als er heraufkam, um Luft zu

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