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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Wally. »Nur eine Sekunde.« Und Homer Wells stellte die Scheinwerfer ab. Sie sahen die Lichter vom Haus Ocean View vor ihnen, und beide kannten die Straße so gut, daß sie sich einigermaßen sicher fühlten, einfach im Dunkeln so draufloszurollen, aber dann wurden die Bäume höher und verstellten ihnen die Sicht auf das erleuchtete Haus, und da war eine unvertraute Delle in der Straße. Einen kurzen Moment schienen sie völlig verloren, wären womöglich von der Straße geschleudert worden, in die dunklen Bäume; Homer Wells schaltete die Scheinwerfer wieder ein.
    »So war fliegen«, sagte Wally, als sie in die Einfahrt einbogen – vor ihnen, schimmernd im Scheinwerferlicht, stand der wartende Rollstuhl. Als Homer Wally vom Jeep zum Rollstuhl trug, schlang Wally seine beiden Arme um Homers Hals. »Glaub niemals, ich wäre dir nicht dankbar für alles, was du getan hast, alter Junge«, sagte Wally zu Homer, der ihn sehr sachte in den Rollstuhl setzte.
    »Ach, geh«, sagte Homer.
    »Nein, ich meine es ernst. Ich weiß, wieviel du getan hast für mich, und ich habe normalerweise nicht die Gelegenheit, zu sagen, wie dankbar ich wirklich bin«, sagte Wally. Er küßte Homer direkt zwischen die Augen, und Homer richtete sich auf, deutlich verlegen.
    »Du hast doch alles für mich getan, Wally«, sagte Homer, aber Wally tat es mit einer Handbewegung ab; er war schon dabei, sich zum Haus zu rollen.
    »Das ist nicht dasselbe, alter Junge«, sagte Wally, und Homer parkte den Jeep.
    Am Abend, als Homer Angel zu Bett brachte, sagte Angel: »Weißt du, du mußt mich wirklich nicht mehr ins Bett bringen.«
    »Ich tu’s nicht, weil ich muß«, sagte Homer. »Ich tu’s gern.«
    »Weißt du, was ich glaube?« sagte Angel.
    »Na, was?« fragte Homer, der die Antwort fürchtete.
    »Ich glaube, du solltest versuchen, eine Freundin zu haben«, sagte Angel vorsichtig. Homer lachte.
    »Vielleicht, wenn du versuchst, eine zu haben, will ich es auch mit einer versuchen«, sagte Homer.
    »Klar, wir könnten uns zu viert verabreden«, sagte Angel.
    »Ich nehme den Rücksitz«, sagte Homer.
    »Klar, ich sitze sowieso lieber am Steuer«, sagte Angel.
    »Nicht lange, dann würdest du lieber nicht mehr am Steuer sitzen«, sagte sein Vater zu ihm.
    »Klar!« sagte Angel lachend. Dann fragte er seinen Vater: »War Debra Pettigrew so dick wie Melony?«
    »Nein!« sagte Homer. »Na, sie war auf dem Weg, dick zu werden, aber sie war nicht so dick – nicht, als ich sie kannte.«
    »Unmöglich, daß die Schwester der dicken Dot Taft dünn gewesen sein soll«, sagte Angel.
    »Na, ich habe nie gesagt, daß sie dünn war«, sagte Homer, und beide lachten. Es war ein Augenblick, der unbeschwert genug war, daß Homer sich über Angel beugte und den Jungen küßte – direkt zwischen die Augen, wo Wally eben Homer geküßt hatte. Es war eine gute Stelle, um Angel zu küssen, fand Homer, denn er roch so gern die Haare seines Sohnes.
    »Gute Nacht, ich hab dich lieb«, sagte Homer.
    »Ich hab dich lieb. Gute Nacht, Pop«, sagte Angel, doch als Homer beinah aus der Tür war, fragte Angel ihn: »Was liebst du am meisten?«
    »Dich«, sagte Homer zu seinem Sohn. »Dich lieb ich am meisten.«
    »Nach mir«, sagte Angel Wells.
    »Candy und Wally«, sagte Homer und rückte die beiden Namen so nah zusammen, wie seine Zunge es nur konnte.
    »Nach ihnen«, sagte Angel.
    »Na, Doktor Larch – und sie alle in St. Cloud’s, schätze ich«, sagte Homer Wells.
    »Und was ist das Beste, was du je getan hast?« fragte Angel seinen Vater.
    »Ich habe dich bekommen«, sagte Homer sanft.
    »Das Nächstbeste«, sagte Angel.
    »Na, ich schätze, es war, Candy und Wally zu begegnen«, sagte Homer.
    »Du meinst, als du ihnen begegnet bist?« fragte Angel.
    »Ich schätze, ja«, sagte Homer Wells.
    »Das Nächstbeste«, beharrte Angel.
    »Ich hab einer Frau das Leben gerettet, früher einmal«, sagte Homer. »Doktor Larch war fort. Die Frau hatte Krämpfe.«
    »Hast du mir erzählt«, sagte Angel. Angel hatte sich nie besonders dafür interessiert, daß sein Vater ein hochqualifizierter Assistent bei Dr. Larch geworden war; Homer hatte ihm nie von den Abtreibungen erzählt. »Was noch?« fragte Angel seinen Vater.
    Sag es ihm jetzt, dachte Homer Wells, sage ihm alles. Doch was er zu seinem Sohn sagte, war: »Nichts sonst, wirklich. Ich bin kein Held. Ich habe keine besten Sachen getan oder nicht einmal eine beste Sache.«
    »Ist schon recht, Pop«, sagte Angel fröhlich.

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